als Fußnote zum Amoklauf gegen Grass
Mit einer Äußerung zu Israel kann man leicht Aufsehen erregen. Aber was hat Grass eigentlich genau falsch gemacht? Die hysterischen Reaktionen auf das skandalisierte Gedicht von Günter Grass liefern die möglichen Antworten auf die Frage, mit der das Gedicht beginnt: „warum schweige ich?“ Weil es unmöglich ist, eine Kritik an der politischen Führung Israels zu äußern. Jeder Ansatz zu einer solchen entfacht einen Amoklauf von etwas, das sich als Normalität versteht, der jedes Gespräch im Keim erstickt. Daß der Saat Israel seinen schmutzigen Anteil an der verfahrenen Situation hat, in der Israelis und Palästinenser sowie Israel und die arabischen Nachbarn stecken, und Mitverantwortung trägt für die Gefahr für die ganze Welt, die von dieser verfahrenen Situation ausgeht, in der die Beteiligten nicht miteinander sondern nur übereinander reden, darf nicht thematisiert werden. Jeder, der daran mitwirkt, dieses brandgefährliche Tabu aufrechtzuerhalten, ist in die Schuld verwickelt. Sie trifft nicht Grass, sondern alle anderen. Grass hat etwas getan, auf das hin die anderen aufhören, mit einem zu sprechen und dazu übergehen, über einen zusprechen. Nicht Grass ist das Thema, sondern das Thema sind die anderen und wann und warum sie aufhören, mit ihm zu reden.
„...weil gesagt werden muß, was morgen zu spät sein könnte“, das waren Netanjahus Worte, daß nämlich der atomare Erstschlag nötig sei, weil es, wenn man darauf wartete, bis diplomatische Mittel ausgereizt sein würden, vielleicht zu spät sein könnte. Die Furcht, für antisemitisch gehalten zu werden, könnte die Politiker möglicherweise daran hindern, die Realisierung dieser Option zu verhindern. Kein einziger Journalist hat das Thema aufgegriffen. Alle sind nur gekränkt und beleidigt, daß man ihnen unterstellt, sich dem Verbot zu fügen, an Israel Kritik zu üben, und merken nicht, daß sie genau damit dem Tabu entsprechen. Es ist wie auf dem Kinderspielplatz, auf dem alle schreien: Aber er hat angefangen. So wird man durch den Amoklauf der Normalität zu Fußnoten gemacht.
Donnerstag, 5. April 2012