Mesmerismus

 

Aus der Tiefe einer passiven Situation gelangt der in Trance befindliche Patient zu Fähigkeiten wie Prophezeiungen, die über seinen Bildungsgrad hinausgehen und an die er sich nach Beendigung der Hypnose nicht mehr erinnern kann. Er sagt dabei die eigene Gesundung voraus. Und an diese Prophezeiung wird er sich halten wie an ein Versprechen. Seine faktische Gesundung ist der Beweis der in der Hypnose antizipierten Wahrheit, und er ist nicht imstande zu lügen. Der elektrische Strom des Therapeuten fließt als Lebensenergie durch ihn nur hindurch und vermag so die gestörten Funktionen wie magnetisierte Eisenspäne neu auszurichten. Der Arzt als Eingeweihter rührt an die großen Geheimnisse des Kosmos und läßt sich als Beseelter dazu herab, die niederen Wesen zu behandeln. Auf diese Weise zeigt er seine Größe. Da wo er unheilvolle Macht ausüben könnte, hält er sich in den Grenzen rührender Wohltätigkeit. So beschrieb Starobinski die Arbeitsweise Mesmers. Dessen Behauptung, daß der Mensch im Zustand des Schlafens seine Berührung mit der ganzen Natur fühle, zeigt sein Interesse an der Lenkung des Willens. Der Magnetiseur provoziert den kritischen Schlaf und behauptet dann Zugang zur Quelle aller Energie zu haben. Er will den anderen über seinen Strom dirigieren können und über ihn gebieten.

Wenn aber der Therapeut vorrangig ist, wie soll man sich dann nicht vorstellen, daß etwas von ihm auf den Patienten übergeht. Im kritischen Schlaf mesmerischer Prägung, im künstlichen Somnambulismus bleibt die Energiequelle in der Person und im Willen des Magnetiseurs. Sigmund Freud, der sich hieran störte, verlegte jene Energiequelle in den Patienten selbst. Die hypnotische Kraft ist nunmehr nur ein äußerliches Stimulanz, das die eigene Nervenkraft des Patienten wachruft. Diese Änderung ist von einer anderen begleitet, die nicht weniger folgenreich ist. Der Zustand der Hypnose ist nicht mehr von der Voraussicht gekennzeichnet, sondern von der Erinnerung. Gesundheit wid nicht mehr prophezeit und versprochen, sondern sie ist als etwas Vergangenes wieder einholbar. Mesmers Schlafwandler waren imstande, künftige Ereignisse vorherzusagen, die Patienten der nachkommenden Ärztegeneration richten ihre Aufmerksamkeit in die Vergangenheit. Für den Patienten schwingt die heilbringende Vision zurück in seine eigene Geschichte. Wenn Freud dann in einem weiteren Schritt seine Patienten gar nicht mehr mit Hypnose behandelt, verzichtet er gänzlich auf die gottähnliche Führerrolle, welche die bisherigen Theorien dem Therapeuten zuschrieben, indem er in die Zukunft des Patienten eingriff, und überträgt sie dem Patienten selber. Wenn aber der Patient vorrangig ist, so dachte Freud, dann muß man alles mit den subjektiven Vorgängen erklären, die sich auf ihn beschränken: Gesundung wird eine Frage von Einbildungskraft und Beeinflußbarkeit. Doch sie werden nicht eigentlich als persönliche Fähigkeiten oder individueller Besitz relevant, sondern erst in der Interaktion mit dem Arzt und in der Selbstentäußerung des Patienten und indem er sich dem Therapeuten überantwortet.

Freud verzichtet nicht nur darauf, die unmittelbar bevorstehende Heilung zu suggerieren, sondern auch darauf, Geständnisse des Patienten zu erzwingen. Das Erinnern kann nicht nach dem Willen des Therapeuten suggeriert werden, er kann dazu keine Befehle geben. Alles hängt vom Willen des Patienten selbst ab. Es ist die Aufgabe des Patienten zu “arbeiten”, im Beisein des Therapeuten.

Diese Arbeit dachte man sich zunächst nach demselben Bild, dessen Mesmer sich bediente, in Analogie zu einer elektrischen Anlage, deren Medium das Fluidum, der Strom ist. Es ging freilich nicht mehr so sehr darum, die wahre Natur des Nervenstroms zu definieren, als vielmehr darum, ein plausibles und anschauliches Modell von den Störungen im Affektbereich zu liefern. Etwa ab 1900 ist dann für Freud der Strom nicht mehr ein stimulierbarer quasi-elektrischer Reiz, sondern Effekt der Libido, der Triebe. Freuds Metapsychologie zufolge sind die Triebe unausgesetzt aktiv, so daß sie ständig Affekte in Form sexueller Erregung und Wut produzieren bzw. in eine Spannung mit Angst- und Schuldgefühlen geraten. In diesem Modell läßt sich der Affekt als Versuch begreifen, sich von unangenehmen Gefühlen zu befreien. Die Abwehr ist in erster Linie Abwehr von unangenehmen Affekten, indem Energie abgeführt wird wie bei einer elektrischen Entladung. Die Übertragung soll dazu dienen, diese Entladung in der Labor-Situation der Interaktion zwischen Patient und Analytiker modellhaft stattfinden zu lassen. Der Patient soll sein Problem vor den Augen des Analytikers in diese Situation hinein entladen.

Noch einmal: Anfänglich nahm Freud an, der Analytiker sei derjenige, der handelt. Mittels der Hypnose bringt er den Patienten in einen Zustand, in dem er für die Effekte seines Handelns empfänglich ist. Der Analytiker war derjenige, der die Erkenntnis gewinnt und an den Patienten weitergibt, an dessen wachem Bewußtsein vorbei. Später fand Freud, daß allein der Patient erkennen könne, worin seine Wahrnehmungsstörung und Fehlleistung besteht. Die Quelle der Erkenntnis liegt also in ihm selber. Das heißt auch, daß der Patient, unter Anleitung des Analytikers, sich selbst heilt, daß es Heilung nur als Selbstheilung geben kann. Der Begriff des Unbewußten verwandelt sich dabei von etwas Passivem, das die Heilung durch Überlistung zuläßt, wie ein Portier, der für den Gast ohne Einladungskarte ein Auge zukneift, in etwas Aktives, etwas, womit der Patient, ohne sein Wissen etwas tut, das ihm guttut und zur Heilung beiträgt. Er verschafft nicht jemandem Zugang zu seinem Inneren, weil er gerade nicht aufgepaßt hat, sondern er geht selbst ins Bordell, während er meint, brav zu Hause geblieben zu sein. Aber die Frage, wer eigentlich handelt, der Patient oder der Analytiker, ist damit nicht eindeutig beantwortet. Die Frage ist nicht beantwortbar, weil sie falsch gestellt ist. Beide handeln und beide sind zugleich passiv. Mesmer war schon Freud, und Freud blieb Mesmer.

 

Samstag, 1. Januar 2011

 
 
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