passive Rede
Deleuze und Guattari schlagen eine Sprachanalyse nach Beneviste vor, die nicht von der aktiven, deiktischen Rede ausgeht, sondern von einer Fähigkeit zur passiven Rede. Was damit gemeint ist, läßt sich an Hand der Kommunikation von Insekten erläutern. Bienen z.B. können ‘Informationen’ ohne weiteres kommunizieren. Sie können Mitgliedern ihres Volkes direkt Informationen über den Standort von Blumen geben. Bienen, die den Standort (bspw. einer Wiese) signalisiert bekommen haben, können diese Information jedoch selbst nicht weitergeben. Sie müssen hinfliegen, um aus eigener Anschauung etwas zu wissen, bevor sie es weitergeben können. Im Unterschied zu ihnen können Menschen einmal Gehörtes weitergeben, ohne direkten Kontakt mit dem Inhalt der Aussage gehabt zu haben. Diese sogenannte passive Rede ist den Bienen fremd.
Auch beim Spracherwerb ist die passive Sprechleistung in Kraft. Vor dem zu analysierenden Performativum des Sprechaktes als parole wäre deshalb das Delokutivum, die Ermöglichung des Performativums als langue, der aktualisierten passiven Rede, zu untersuchen. Eine ‘Pragmatik’ im Sinne Deleuzes und Guattaris würde die Möglichkeit von Redundanz nicht innerhalb des Sprechens ansiedeln, sondern schon vorher, im Beschneiden des Aktualisierungsvorgangs. Im Sprechen selbst gibt es, entgegen dem linguistischen common sense, keine Redundanz. Damit wird Sprachpragmatik zu einer politischen Analyse, die nach der Restriktion von Sprache vor dem Sprechen fragt. „Der Befehl ist an sich eine Redundanz der Handlung und der Aussage. Zeitungen, Nachrichten gehen mit Redundanz vor, da sie uns sagen, was man denken, festhalten, erwarten etc. ‘muß’.“
Welche Möglichkeiten hätten wir dann aber, uns vom redundanten Gerede zu distanzieren? Wenn Heidegger sagt, „das Gerede ist die Möglichkeit, alles zu verstehen ohne vorgängige Zueignung der Sache“, dann ist Deleuze zufolge Distanznahme vom ‘Gerede des Man’ genau die Leistung des Schizophrenen, der ‘Stimmen hört’. Er hört weniger konkrete Einzelsprecher, als daß er Möglichkeiten von Diskursinseln belauscht.
Samstag, 1. Januar 2011