Somatisches Theater

 

„Ich hoffe nunmehr eine umfassendere Darstellung jenes somatischen Theaters liefern zu können das auf der psychoanalytischen Bühne entsteht, indem ich mich unter ausschließlich psychoanalytischem Blickwinkel auf das Verständnis und die Untersuchung psychosomatischer Phänomene konzentriere. Zunächst war ich der Auffassung, daß in psychosomatischen Zuständen der Körper auf eine psychische Bedrohung reagiere, als sei sie physiologischer Art, daß es also eine scharfe Trennung zwischen Psyche und Soma gebe, und daß dies zumindest teilweise darauf zurückzuführen sei, daß meine Patienten ihre Affekte angesichts beinahe jeder Situation unterdrückten, die mit Emotionen besetzte Vorstellungen hätte mobilisieren können. Der Vorhang vor der Bühne der Seele blieb sozusagen geschlossen. Kein Ton drang ans Ohr derjenigen, die sich draußen befanden, und dennoch wurde auf diesem geheimen Theater ein Drama gespielt, das das Leben des Theaterbesitzers bedrohte.“ (McDougall: Theater des Körpers. 1991. S. 2)

„Man sucht eine Abfuhr im Handeln, wenn eine affektive Überlastung und der seelische Schmerz die Aufnahmefähigkeit der üblichen Abwehrmaßnahmen übersteigen. Statt unsere Emotionen zu zügeln und darüber nachzudenken, wie angemessen auf sie zu reagieren wäre, sind wir voreilig veranlaßt, stattdessen etwas zu tun: zu viel zu essen, zu viel zu trinken, zu viel zu rauchen, einen Beziehungsstreit anzufangen, das Auto zu demolieren... oder eine Grippe zu kriegen! Diese verschiedenen Arten, sich durch ein Handeln Ausdruck zu verschaffen, dessen Ziel es ist, einen Affekt so rasch wie möglich aufzulösen, sind oft die Ursache dafür, daß eine analytische Kur nicht zu Ende geführt werden kann.“ (ebenda, S. 18)

Menschen sind nach McDougall eine Einheit aus Körper und Seele. Jedem Menschen ist die Funktion zu somatisieren zu eigen, also auf psychische Belastungen durch den Körper zu reagieren, anstatt durch eine adäquate Verarbeitung mittels des Verstandes. Dies geschieht, wenn die psychische Realitätsbewältigung nicht wie gewohnt möglich ist. In diesem Fall scheint also der Körper zu sprechen.

Die Psychoanalyse konzentriert sich in der Regel auf Bedeutungen, und die ihnen zugrunde liegende Logik ist der Sprache. Daher wird der psychosomatische Charakter von Störungen oft in Analysen übersehen. Anhand somatischer Reaktionen könnte ein Analytiker aber Rückschlüsse auf psychische Vorgänge ziehen. Ein Analytiker, der also auch auf die Sprache des Körpers zu achten versteht, ist in der Lage, nach Gründen für die somatische Störung im Unterbewußtsein des Patienten zu suchen. Bereits durch das Wissen darüber, daß es sich bei den somatischen Störungen um Ausdrücke einer psychischen Erscheinung handelt, kann dem Patienten eine Besserung oder Heilung ermöglicht werden. Allerdings kann dies im Negativen auch dazu führen, daß noch weitere psychische Symptome, Neurosen wie Psychosen, in Erscheinung treten. Aber „in the long run it is better to be mad than dead.“ (McDougall: The Psychosoma and the Psychoanalytic Process. 1974/1. S.450)

Jede Emotion ist ihrer Natur nach psychosomatisch. Die Somatisierung des Affekts wirkt wie eine Art Schutz gegen die volle bewußte Anerkennung einer Emotion. Wenn der seelische Schmerz nicht länger ertragbar ist, wenn die Psyche keinen Spielraum mehr hat, „spricht“ der Körper an Stelle der Sprache des Bewußtseins. Man nimmt sich der Wut, Angst oder Enttäuschung, des Kummers psychisch nicht mehr an. Bei Psychosomatosen verhält sich der Körper „wahnhaft“. Diese sind zu unterscheiden von Psychosen, bei denen die Gedanken selbst „wahnhaft“ sind. Beide Mechanismen sind verschieden, sie ähneln einander aber darin, daß sie Reaktionen auf einen affektiven Konflikt sind. Der Körper sendet bei einer Somatisierung ein Warnsignal der psychischen Bedrohung, die als solche in diesem Augenblick unbewußt verleugnet wird. Das Warnsignal wird gleichsam verschlüsselt gesendet und am Bewußtsein des Senders vorbei an den wissenden anderen, den Arzt adressiert. Diese prinzipiell interaktive Natur der Somatisierung wird hartnäckig verkannt.

Grundsteine für die Unfähigkeit der Psyche, seelischen Schmerz annehmen zu können, werden im frühesten Kindsalter gelegt. Im Säuglingsalter wird der eigene Körper nicht als solcher wahrgenommen, sondern als Einheit mit der Mutter. Die Mutter hat die Aufgabe, auf die Impulse des Säuglings zu reagieren und es zu beruhigen. Das ist deshalb von so großer Bedeutung, weil es dazu dient, dem heranwachsenden Individuum einen gesunden Differenzierungsprozess zu ermöglichen, in welchem sich die Psyche und der Körper innerhalb seines eigenen Bewußtseins von denen der Mutter löst. Der Säugling selbst wird im Laufe seiner Entwicklung die materielle Anwesenheit seiner Mutter durch Symbole zu ersetzen lernen, bis er sich schließlich das Gefühl der mütterlichen Anwesenheit durch das Aussprechen des Wortes „Mama“ verschaffen kann. Der Prozess der Ablösung von der Mutter scheint geglückt zu sein, wenngleich ständig der unbewußte Wunsch, frei von jeder Begierde zu sein (Aphanisis), also zurückzukehren in das Mutter –Universum bzw. eine absolute Trennung von der Mutter zu erreichen, zurückbleibt. Jedes Scheitern dieses grundlegenden Prozesses beeinträchtigt die Fähigkeit des Kindes, seinen Körper, seine Gedanken, seine Affekte überhaupt und als die seinen zu erkennen. Eine Folge des Scheiterns kann darin bestehen, zwischen dem eigenen Denken und dem der anderen nicht ausreichend unterscheiden zu können. Die Schwierigkeit äußert sich etwa in der wahnhaften Annahme, wortlos verstanden zu werden.

Personen des hier fraglichen Typs fürchten sich nicht eigentlich, wie vielfach unterstellt, vor den Schrecken der Sexualität, sondern ihre Angst ist die vor einem totalen Verlust ihres sexuellen Begehrens und damit ihrer subjektiven Identität. Allein durch die imaginär überhöhte Aneignung des Geschlechts des Partners scheint es ihnen möglich, die eigene sexuelle Integrität phantasmatisch wiederzuerlangen, um die Kastrationsangst zu bewältigen und Sicherheit gegen die noch archaischere Angst vor einem Verlust der Körpergrenzen und des Gefühls der persönlichen Identität zu erlangen. (McDougall: Theater des Körpers. 1991. S. 39)

 

Sonntag, 2. Januar 2011

 
 
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