Psychoanalyse als Drama
Um die „Reinigung von den Affekten“ als Fluchtpunkt einer Libidoökonomie der Kunst be-greiflich zu machen, konnte Freud auf die kathartische Methode, die Breuer für die Behandlung der Hysterie vorgeschlagen hatte, zurückgreifen. Die Frage, die sich uns stellt, ist aber, warum er andere wesentlichere Analogien zwischen psychoanalytischer Behandlungslehre und Aristotelischer Tragödientheorie unerwähnt läßt. Denn die zwei Arten des Umschwungs, der metabolé, die Aristoteles in seiner Dramentheorie unterscheidet, nämlich einerseits die Peripetie, in der die Handlung plötzlich ins Gegenteil umschlägt, und andererseits die Erkenntnis-metabolé, die Anagnorisis, in der das Wissen sich umkehrt, spielen ebenso in der psychoanalytischen Kur eine bedeutsame Rolle. Freud greift nicht zufällig zu Theatermetaphorik, um die Übertragungssituation zu kennzeichnen. „Die Patientin, auch die bisher fügsamste, hat plötzlich Verständnis und Interesse für die Behandlung verloren, will von nichts mehr sprechen und hören als von ihrer Liebe, für die sie Entgegnung fordert . . . Es gibt einen wichtigen Wechsel der Szene, wie wenn ein Spiel durch eine plötzlich hereinbrechende Wirklichkeit abgelöst würde, etwa wie wenn sich während einer Theatervorstellung Feuerlärm erhebt.“ (Freud, ..... 1915, S. 309) Diese hereinbrechende Wirklichkeit erweist sich als Peripetie auf dem Boden der analytischen Szene und als Voraussetzung für plötzliche Einsicht. Der Begriff der Übertragung – als szenische Wiederholung infantiler Vorbilder oder als unbewußte intersubjektive Konstruktion des analytischen Paares aufgefasst – verdankt vielleicht mehr der Aristotelischen Dramentheorie und einer nicht explizit gemachten Kunstrezeption, als die bewußte Bindung des psychoanalytischen Kunstverständnisses an das Katharsismodell vermuten läßt.
Donnerstag, 17. März 2011