Interview

 

Menschen, die von André Müller interviewt wurden (Interviews in der Münchner Abendzeitung, im Spiegel, im FAZ-Magazin), „wollten vor allem eines nicht, glücklich erscheinen“.(Nachruf in FAZ vom 12.4.11) Im Gespräch mit ihm wurde jeder zu einem eigentlich sterbenstraurigen, als optimistisch nur verkannten Helden. Man sagt übereinstimmend, daß sich die Menschen ihm gegenüber schonungslos selbst preisgaben, und das läge daran, daß er selbst sich ebenso schonungslos preisgegeben habe. Dann interpretiert man, daß er in den Interviews eigentlich immer alles über sich selbst, über seine eigene Verzweiflung wissen wollte. Dem immer wieder nachgeplapperten Klischee gab er selber Nahrung: „Man hat behauptet, ich hätte eine vampirische Lust, aus anderen Menschen das Letzte herauszuholen. In Wahrheit war ich es, der sein Blut gab. Ich habe in den anderen immer nur mich selbst vorgefunden: meine Not, meine Verzweiflung, meinen Genuß am Absurden. Die Hoffnung, mich mit Hilfe der Interviews von mir selber abzulenken, ist nicht in Erfüllung gegangen.“ Er hätte gern noch Beckenbauer interviewt, den scheinbar Unverzweifelsten. Vor seinem Tod sagte er noch: „Ich habe nicht mehr den Elan, die Leute von ihrer Bedeutung, die sie gar nicht haben, zu überzeugen.“

Niemand scheint bisher auf die Idee gekommen zu sein, in all dem nicht Wahrhaftigkeit, sondern Posen zu sehen. Es geht nicht um das Letzte, sondern um das Naheliegendste, nicht um Tiefe, sondern um die oberflächlichste Oberfläche. Es handelt sich bei den Gesprächen um eine Verführung zur Selbstentfremdung in von außen übernommenen Posen im denkbar höchsten Maße. Hinterher werden alle einen Kater empfunden haben, darüber, daß sie sich haben verführen lassen, im Sog der Worte sich so weit von sich selbst zu entfernen. Den Kater haben die Geprellten natürlich tunlichst für sich behalten. Die Rolle des sterbenstraurigen, in seinem Optimistismus verkannten Helden hatte der Interviewer für das jeweilige Gesprächsopfer vorgesehen, in einem Drama, das der Interviewer für ihn inszenierte. Seine Leistung sollte als die eines Theaterregisseurs gewürdigt werden, der abseits der Theaterbühnen Stücke ohne vorher fixierte Texte erfand und der sich seiner Strategie so sicher sein konnte, daß seine Masche zum Markenzeichen werden konnte. Worin bestand diese Strategie? Welcher Fähigkeit oder Unfähigkeit seiner selbst durfte er sich dabei nicht bewußt sein? Und auf welche Neigung (Fähigkeit oder Unfähigkeit) konnte er sich bei den Interviewten verlassen? Solche Interviews gleichen aggressiven Verhörmethoden, die dazu führen, daß sich Verdächtigte Taten bezichtigen, die sie gar nicht begangen haben, daß sie sogar Morde gestehen, Geständnisse leisten, die sie lebenslang ins Gefängnis bringen können.


 

Dienstag, 12. April 2011

 
 
Erstellt auf einem Mac

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