tragisch
Jene Sygne Coufontaine, wie König Lear, Ödipus, Antigone, Medea sind Figuren, die die Grenze der Menschlichkeit überschreiten und eine Zone betreten, die die alten Griechen até nannten, eine Zone unmenschlichen Wahns, in der der Mensch dem Todestrieb begegnet als dem äußersten Rand menschlicher Erfahrung und den Preis einer radikalen subjektiven Destitution bezahlt, indem er auf einen exkrementellen Rest reduziert wird, auf ein weniger als nichts reduziert, einen formlosen Fleck. Es gibt eine solche Zone jenseits des Guten und Richtigen, die nicht nur einfach eine alltägliche pathologische Niedertracht ist, sondern der konstitutive Hintergrund des Guten selbst, die erschreckende und mehrdeutige Quelle seiner Geltungsmacht, eine Zone jenseits auch des Schönen und Wahren, die den Platz aufrechterhält, von dem aus überhaupt erst Fiktionen formuliert werden können, die wir Schönheit oder Wahrheiten nennen. Die großen Katastrophen des Jahrhunderts sind vielleicht nicht ein Nachgeben vor der morbiden Attraktion der ethischen Leere, sondern im Gegenteil das Resultat unserer Anstrengung, uns ihr nicht zu stellen. Wenn Lacan in diesem Zusammenhang mit Freud vom Todestrieb spricht, ziehe ich den Begriff Ichzwang vor.
Sygne als Heldin der modernen Tragödie unterscheidet sich von Antigone als Heldin der antiken Tragödie. Antigone revoltierte gegen die Tyrannei Kreons, und opferte sich für die Möglichkeit, ihrem Bruder den Eingang in das symbolische Universum zu sichern. Antigone riskiert ihre gesamte soziale Existenz und erleidet einen symbolischen Tod, den Ausschluß aus dem soziosymbolischen Raum. Kein Risiko ohne die Außerkraftsetzung des großen Anderen, des soziosymbolischen Netzwerks, das die Identität des Subjekts sicherstellt.
Man wagt etwas, das nicht durch den großen Anderen gedeckt wird. Der traditionelle Held gibt sein Leben für eine Sache, tut seine Pflicht, was immer da auch kommen mag. Sygne dagegen muß diese Sache, für die sie sich hätte opfern können, selbst opfern. Sie opfert nicht ihr Leben für etwas, das ihr mehr bedeutet als ihr Leben, sondern sie opfert das, was in ihr mehr ist als sie selbst. Sie überlebt nur als Larvenhülle ihrer selbst, ihres agalma beraubt. Sygne gibt nicht ihr Leben hin, um ihre Seele zu retten, sondern sie gibt ihre Seele hin. Sie opfert ihre Seele Gott. Die Opfer des stalinistischen Terrors wurden ähnlich ihrer Würde beraubt, Widerständler im Namen einer guten Sache zu sein. Die Schauprozessen dienten dazu, die Opfer zu erniedrigen und sie von der Dimension abzutrennen, die ihren eine erhabene Schönheit hätte zuteil werden lassen können. Das Opfer wird mittellos gemacht, unfähig, die eigene Lebensgeschichte wieder zusammenzufügen. Sygne hat dies an sich selbst getan.
(Beispiele und Formulierungen aus Zizek, Tücke des Subjekts. Siehe auch Lacan, Le Seminaire, Bd VIII (Le transfert))
Samstag, 27. August 2011