Karneval der Arbeit
Der Begriff der Arbeit ist heute an die Verbindung von Arbeit mit Einkommen geknüpft, er bedeutet Erwerbsarbeit. Den Haushalt zu versorgen, Kinder großzuziehen oder sich auf irgendeine Weise zu beschäftigen, gilt nicht im strengen Sinn als Arbeit. Wir verdanken diese begriffliche Einengung der Erfindung der Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert, die dazu diente, eine Gruppe respektabler Arbeiter zu bezeichnen, abgesetzt von Sklaven und Unfreien sowie von Kleinbürgern und vom Lumpenproletariat der Outcasts, und ihre politische Relevanz zu markieren. Vor nicht so langer Zeit gab es ein breites Spektrum unterschiedlicher Formen der Arbeit, die zudem nicht so eindeutig von Freizeit unterschieden war, wie das unserer heutiger Begriff suggeriert. Die Weber leisteten bis zur Industrialisierung Heimarbeit in Familienverbänden, wobei sich die Frage, ob die Haushaltsführung weniger wert sei als die Produktion von Stoffen nicht stellte. Im 16. Jahrhundert begannen gelehrte, Familienhaushalte zu gründen und ihre Forschung von Studienseminaren und kommunalen Räumlichkeiten in häusliche Sphären zu verlagern. Der Status wissenschaftlicher Arbeit bestärkte die Gelehrten, mit frühmittelalterlich-zünftischen Zeitordnungen zu brechen, von wesentlichen bürgerlichen Verpflichtungen befreit zu werden und ihre eigentümliche Lebensform zu rationalisieren. Sie entwickelten eine besondere Weise, Arbeit und Freizeit voneinander abzugrenzen. Freizeit wurde gar als eine besondere Verpflichtung entworfen. Die Wissenschaftler erachteten ihre Freizeit als wesentlich für ihre Arbeit. Ihre Rezepte für einen gelehrten Lebenswandel enthielten geplante Ablenkung, terminierte Spaziergänge, sowie Zeiten für Konversationen und Feiern.
Heute ist es an der Zeit, den auf organisierte Arbeit fixierten Begriff für den bisher diskriminierten Bereich informeller oder Gelegenheitsarbeit zu öffnen, da es das ganze Spektrum möglicher Arbeitsformen tatsächlich wieder gibt und Möglichkeiten, sich gegen Lohn oder Gehalt zu verdingen und ausbeuten zu lassen, schwinden, während gleichzeitig erkennbar wird, daß das meiste Geld damit gemacht wird, unser Konsum- und Freizeitverhalten zu beobachten. Wir arbeiten am lukrativsten, wenn wir nicht arbeiten, auch wenn dies nicht für uns selbst lukrativ ist, so produzieren wir doch in der Freizeit und beim unproduktiven Konsumieren mehr gesamtgesellschaftlichen Reichtum, als an unserem Arbeitsplatz, sofern wir noch einen haben. Die Konturen verwischen sich, Verhältnisse kehren sich um. Ein Schriftsteller oder Künstler hört niemals auf zu arbeiten. Die verfügbare Kontingent an bezahlten Arbeitsplätzen schrumpft gegen null. Der Konsum ist drauf und dran, die Rolle der Arbeit zu übernehmen, so daß ein Staatswesen sich Gedanken darüber machen muß, wie sich sicherstellen läßt, daß die Menschen die maschinell produzierten Waren und angebotenen Dienstleistungen bezahlen können. Das Verhältnis zwischen Dienstleistern und Konsumenten gleicht immer mehr dem zwischen Darsteller und Publikum, wobei die Grenze zwischen beiden aufweicht. Je mehr sich die Preise und Löhne global angleichen werden, desto stärker kommt dabei das jeweilige Inland wieder in den Blick. So wie Bauern Prämien dafür erhalten, daß sie die Wiesen nicht beackern, so sollten Städter Prämien dafür erhalten, daß sie nicht Arbeitsplätze okkupieren.
John William Waterhouse Decameron 1916
Dienstag, 24. April 2012