Coaching
Wir erleben gegenwärtig einen Boom der Ratgeberliteratur. Coaching und Lebenskunst sind die Zauberwörter dieser Literatur, die Rezepte für ein gelungenes Leben verkaufen. Was heute zu einer regelrechten Bewegung des „postiven Denkens“ geworden ist, kannte man als Phänomen auch schon in der Zeit, die auf die Aufklärung folgte.
Die frühen Soziologen hielten es unter dem unmittelbaren Eindruck der terreur der französischen Revolution für unabdingbar, die Menschen zu lehren, angesichts drohender Anomie für die durch die Abschaffung des Feudalismus entstehenden Verluste Ersatz zu schaffen und auf die Individuen zugeschnittenen Ersatzangebote zur Sicherung des sozialen Zusammenhalts schätzen zu lehren. Während sie noch auf Mittel und Wege sannen, die Menschen dazu zu bringen, war bereits eine allgemeine Einstellung entstanden, dank welcher die freigesetzten Individuen massenhafte Gleichförmigkeit an den Tag legten. In dem, was William James „mind cure movement“ nannte, in dem Konglomerat von Glückslehren und Lebensmaximen, sah er ein Säkularisat liberaler Theologie und die eigentliche Frömmigkeit der Moderne.
Nach Mitteln und Wegen zu suchen, die Menschen dazu zu bringen, die Einzelnen zum Erfolgsstreben im Kapitalismus zu bringen, ist erst recht heute nicht mehr nötig. Jene neue Frömmigkeit sorgt mehr denn je dafür, daß die Zurichtung von den Zuzurichtenden selbst bewerkstelligt wird, und legt nahe, in dem Resultat den Beweis für die befriedende Wirkung der westlichen Konsumkultur zu erblicken. Die Ratgeber und Coaching-Seminare sind die Antwort auf eine steigende Nachfrage, der man kaum je genügen kann. Die Soziologen werden heute dazu gezwungen, die Menschheit mit Coaching-Angeboten zu versorgen. Das hätten sich Auguste Comte und Emile Durkheim nicht träumen lassen.
Donnerstag, 30. Dezember 2010