Double-bind

 

Ein Double-bind ist ein Labyrinth mehrerer aufeinander aufbauender Verbote. Vor allem darf ich mich nicht aus diesem Labyrinth befreien. Mich aus ihm befreien zu wollen, darf ich nicht einmal denken. die Beziehungsfalle, die Gregory Bateson double-bind nannte, ist eine Situation, die aus folgenden Elementen besteht: Es gibt zunächst ein primäres Verbot: Tu dies nicht, oder ich werde dich bestrafen. Oder: Wenn du dies nicht tust, werde ich dich bestrafen. Dem folgt ein sekundäres Verbot, das mit dem ersten auf abstrakter Ebene in Konflikt steht und wie das erste durch die Androhung einer Strafe verstärkt wird oder durch lebensbedrohliche Signale in Gestalt von Körperhaltung, Gestik, Tonfall des Inhalts: Betrachte dies nicht als Strafe. Betrachte mich nicht als Strafinstanz. Unterwirf dich nicht meinen Verboten. Denk nicht an das, was du nicht tun darfst. Stelle nicht meine Liebe in Frage. Sei frei! Ein drittes Verbot verbietet dem Opfer, den Schauplatz zu fliehen. Dies kann durch positive Verheißungen verstärkt werden, wie etwa ein launenhaftes Liebesversprechen. Ein imaginärer Richter mißbilligt das Gespräch mit einem Außenstehenden als möglichem Verteidiger, und er mißbilligt auch den Versuch, ihm von seiner Mißbilligung zu berichten.

Der Double-bind ist ein Lernkontext, der weniger auf dem Streben nach Belohnung beruht, als daß er auf die Vermeidung von Strafe zielt. Die Strafe kann entweder im Liebesentzug bestehen oder in der Art von Verlassenheit, die sich durch den Ausdruck extremer Hilflosigkeit bei den Eltern einstellt. Ein double-bind kommt selten allein. Für die Opfer ist er eine sich oft wiederholende Erfahrung, die ihnen zur habituellen Erwartung geworden ist. Das gesamte Set an Ingredienzien ist nicht länger erforderlich, wenn das Opfer erst gelernt hat, sein Universum in double-bind-Mustern wahrzunehmen. Jedes einzelne Element der Abfolge kann dann ausreichen, um Panik oder Wut auszulösen. Das Muster der widerstreitenden Gebote kann sogar von halluzinatorischen Stimmen übernommen werden.

Das betroffene Individuum ist konfrontiert mit zwei Arten von Mitteilungen, von denen eine die andere leugnet, weshalb es unfähig wird, eine metakommunikative Aussage zu machen. Wenn dieses Individuum häufig und über einen längeren Zeitraum mit solchen widersprüchlichen Mitteilungen konfrontiert wird, wird es darauf trainiert, Sprachmodalitäten nicht unterscheiden zu können. Zwar hat es wie jeder andere Mensch auch als Kind schon sehr früh die Fähigkeit erworben, Sprechmodalitäten (Ernst oder Scherz, Ironie, Humor) zu unterscheiden, un diese Fähigkeit kann einem auch nicht wieder abhanden kommen. Das Individuum, das Opfer eines Double-bind wird, lernt es, diese Fähigkeit nicht anwenden zu dürfen. Der bevorzugte Ort des Double-bind ist die Familie.

In zahlreichen Märchen finden wir die vorpsychotische Familiensituation wieder. Die Stiefmutter in Grimms „Hänsel und Gretel“ verhält sich wie eine Mutter, der die Gefühle von Angst und Feindseligkeit gegenüber dem Kind nicht akzeptabel sind, und deren Weise, sie zu leugnen, darin besteht, sich nach außen hin liebevoll zu verhalten, um das Kind zu veranlassen, auf sie wie auf eine liebende Mutter zu reagieren, und um sich von ihm abwenden zu können, wenn es dies nicht tut. Auch die erschwerende Bedingung, nämlich das Fehlen von jemandem, der sich in die Beziehung zwischen Mutter und Kind einschalten und das Kind angesichts der aufgetretenen Widersprüche unterstützen könnte, ist in den meisten Märchen erfüllt. Im Märchen von „Hänsel und Gretel“ fehlt dem Vater die Stärke und Entschlossenheit, dem Kind gegen die Mutter beizustehen.

Diese Mutter bringt das Kind (wenn man die Geschwister als zwei Aspekte einer Person begreift) in eine Lage, in der es ihre Kommunikation nicht interpretieren darf, wenn es seine Beziehung zu ihr nicht gefährden will. Es darf nicht zwischen den Arten von Mitteilungen unterscheiden, in diesem Fall zwischen dem Ausdruck simulierter Gefühle und den tatsächlichen Gefühlen. Im Ergebnis muß das Kind seine Wahrnehmung metakommunikativer Signale unterdrücken.

Kommen in der Mutter etwa feindselige Gefühle gegenüber dem Kind auf und verspürt sie den Zwang, sich von ihm abzuwenden, dann sagt sie etwa: Geh ins Bett, du bist sehr müde, und ich möchte, daß du genug Schlaf bekommst. Mit dieser scheinbar fürsorglichen Bemerkung soll ein Gefühl geleugnet werden, das man so in Worte fassen könnte: “Geh mir aus den Augen, ich kann dich nicht mehr sehen”. Würde das Kind ihre metakommunikativen Signale richtig unterscheiden, so wäre es mit der Tatsache konfrontiert, daß sie es sowohl ablehnt als auch mit ihrem liebevollen Reden täuscht. Es würde dafür “bestraft”, zu wissen, wie man Modi von Mitteilungen unterscheidet. Das Kind wird also dazu neigen, eher die Vorstellung zu akzeptieren, daß es müde ist, als die Täuschung seiner Mutter wahrhaben zu wollen. Aus Gründen der Selbstachtung muß es sich über seinen eigenen inneren Zustand täuschen und damit die Mutter in ihrer Täuschung unterstützen. Um mit ihr zu überleben, muß es sowohl seine eigenen inneren Impulse als auch die der Mutter verzerren.

Das simulierte liebevolle Verhalten der Mutter für bare Münze zu nehmen, ist allerdings für das Kind auch keine Lösung. Sofern es mit der Verzerrung der Mutter nahe kommt, wird es in ihr Furcht und Hilflosigkeit auslösen, und sie wäre doch gezwungen, sich abzuwenden. Wenn das Kind sich daraufhin von der Mutter zurückzieht, muß sie diese Abwendung als einen ungerechten Vorwurf auffassen, daß sie keine liebevolle Mutter sei, und das Kind entweder für die Abwendung bestrafen oder sich ihm unvermittelt und unglaubwürdig nähern, um es enger an sie zu bringen usw. Das Kind wird bestraft, wenn es die Ausdrucksweisen der Mutter korrekt unterscheidet, und es wird bestraft, wenn es sie nicht korrekt unterscheidet. Der Double-bind „ist eine Situation, in der eine Person – egal, was sie tut – nicht gewinnen kann.”

In jeder normalen Beziehung besteht ein ständiger Austausch von metakommunikativen Mitteilungen, wie etwa: “Was meinst du damit?”, “warum hast du das getan?” oder: “Nimmst du mich auf den Arm?” usw. Das betroffene Kind aber wächst in einem Klima auf, in dem es solche Fragen nicht stellen darf. Es darf sich nicht anmerken lassen, daß es über die Fähigkeit verfügt, über Kommunikation zu kommunizieren. Das Kind wird so durch das Verhalten der Mutter von intimen und sicheren Beziehungen zu ihr abgeschnitten. In der Beziehung, die für sein Leben von größter Bedeutung ist und die das Modell für alle weiteren Beziehungen abgibt, wird es ständig bestraft, ob es nun Liebe und Zuneigung zeigt oder nicht. Und alle möglichen Fluchtwege aus dieser Situation sind abgeschnitten. Während in „normalen“ Abhängigkeitsverhältnissen kann eine Autoritätsperson wohl Befehle erteilen und Einfluß auf das Verhalten des Untergebenen ausüben kann, beinhaltet die Beeinflussung bei Double-bind-Beziehungsmustern auch die Art der Selbstwahrnehmung, die das Opfer von sich hat. Die Person wird vom anderen nicht nur zum Opfer gemacht, sondern sie hat darüberhinaus nicht die Erlaubnis, sich selbst als Opfer wahrzunehmen, und erst recht nicht die Erlaubnis, den Täter als Täter wahrzunehmen. Die Autoritätsperson bestimmt auch, wie sie vom Opfer erlebt werden will. Sie bestimmt das Bild, das sich das Opfer von ihr und von sich selbst machen muß.

Das Märchen ist nicht nur die Heimat solcher familiären Höllen, der verbotene Gedanke an Befreiung aus dieser Beziehungsfalle findet sich dort ebenfalls. Die Falle wird in einem zweistufigen Modell umformuliert. Zunächst ist eine junge Frau aufgefordert, etwas Unmögliches zu vollbringen, etwa aus Stroh Gold zu spinnen, weil die ehrgeizigen Eltern dem auf Brautsuche befindlichen Prinzen gegenüber von der Tochter behauptet haben, dies zu können. Im Falle des Versagens droht Gefängnis oder Tod. Ein Zauberer bietet in der Not seine Hilfe an, verlangt aber als Gegenleistung das erste Kind des königlichen Paares. Das technisch unlösbare Problem wird durch fremde Hilfe eines Zauberers fürs erste gelöst. Mit dem hohen Preis für die Hilfe hat sich die Not aber noch verschärft. Und doch hat sich mit der Verschiebung von dem technischen Problem auf ein interaktives Problem mit einer Person die Möglichkeit eröffnet, der Falle zu entkommen. Der Zauberer liefert unweigerlich den Gegenzauber mit, indem er es wahrscheinlich macht, einen wunden Punkt zu haben. Rumpelstielzchen verrät seinen Namen. Seine Nennung löst den Bann. Man muß annehmen, daß Kinder diesen Wink, den Märchen ihnen geben, verstehen, und daß wir Erwachsenen dieses Verstehen verlernt haben.

 

Donnerstag, 30. Dezember 2010

 
 
Erstellt auf einem Mac

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