Flexibilitätsvorrat

 

Wie die Larve bis zur Entpuppung von dem Fett zehren muß, das ihr mitgegeben ist, so sollten wir uns einen Vorrat an Flexibilität anfressen, empfiehlt Bateson (643ff). Die Menschen freilich haben die Neigung, alle verfügbare Flexibilität aufzubrauchen. Das System neigt dazu, in jeden Bereich ungenutzter Freiheit hinein zu expandieren. Das Aufbrauchen von Flexibilität ist vor allem sich selbst regenierenden, d.h. eskalierenden Subsystemen zuzuschreiben. Die Abnutzung, das Verbrauchen von Flexibilität ist die gängigste Reaktion auf Belastungen.

Man muß stattdessen die Zivilisation daran hindern, geschaffene Flexibilität unmittelbar zu vereinnahmen. Man muß Reserven an Flexibilität anlegen, ungebundene Potentialität der Veränderung schützen. Man könnte die Reaktionen auf Belastungen auf das Allernötigste beschränken, während die flexibleren Teile des Geistes für die Verwendung bei noch unbekannten Problemen aufgespart werden. Um die Flexibilität aber zu erhalten, muß man sie üben. Um das Üben zu erfahren, gehen wir ins Kino oder ins Stadion, in Ausstellungen oder lesen wir Bücher. Aus ihnen könnten wir lernen, daß wir viel öfter und über längere Zeit nicht arbeiten, uns die Zeit nicht derart vorstrukturieren und uns überhaupt weniger Vorstrukturierungen vorgeben lassen sollten.

In der Stadt müßten wir Grundstücke unbebaut lassen, Freiflächen unter Schutz stellen. Berlin hätte die Chance, zur Hauptstat der voids zu werden. Auf den Bau des Schlosses zugunsten einer grünen Wiese zu verzichten, würde den Ort zum Denkmal des Flexibilitätsvorrates machen. Wohin voreiliges Bauen führen kann, sieht man an dem Krieg durch Bauen, den Israel gegen die Palästinenser führt, wo das Terrain für einen zukünftigen Palästinenserstaat durch vollendete Tatsachen immer mehr eingeschnürt und tendenziell zum Verschwinden gebracht wird.

Im Ostteil Jerusalems, den die Palästinenser für sich beanspruchen und der die Hauptstadt eines palästinensischen Staates werden soll, entstehen immer mehr Siedlungen für jüdische Siedler, und der Raum für die arabischen Bürger der Stadt schwindet. Die eilig aus dem Boden gestampften Siedlungen formieren einen immer enger werdenden Ring, so daß die Verbindung der arabischen Viertel der Stadt zu den Palästinensergebieten gekappt wird. In wachsendem Tempo werden in sämtlichen Stadtgebieten palästinensische Häuser abgerissen und ihre Grundstücke mit jüdischen Siedlungshäusern bebaut. Gleichzeitig geht die Polizei mit Festnahmen und Ausweisungen gegen Palästinenser vor, die sich gegen Enteignungen und Siedler in ihrem Viertel zur Wehr setzen. Israel verfolgt eine Politik, die die Zweistaatenlösung unmöglich machen soll.

Bis es soweit ist, daß eine Zweistaatenlösung vereinbart werden kann, ist für den zweiten Staat kein Land mehr vorhanden. Am Tag der Vertragsunterzeichnung sieht der Palästinenser aus dem Fenster seines Hauses, und das Land ist weg.

 

Donnerstag, 30. Dezember 2010

 
 
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