Philipp Dick
Rastlos setzt er seine Figurenensembles bizarren Täuschungsmanövern aus und hetzt sie durch verschiedene mögliche Welten. Gnadenlos katapultiert er die Protagonisten aus einer mißlichen Lage in die nächste. Der Undercover-Agent Bob Arctor aus der Groteske „Der dunkle Schirm“ verliert komplett die Orientierung und beginnt sich selbst zu bespitzeln. Schizophrene Persönlichkeiten und verlogene Führungsfiguren gehören wie Drogentrips und verhängnisvolle Affären fest zum Dick’schen Motiv-Repertoire. Er schickt sein Personal auf die Suche nach Schlüsseln, die den Einzelnen sowohl aus der Isolation seiner subjektiven Wahrnehmung als auch von der Manipulation durch die objektive Wirklichkeit befreien sollen, doch immer nur verliert er sich in einer paranoiden Verschwörungswelt. Immer wieder schildert Dick ausweglos verstrickte Charaktere in ihrem aussichtslosen Kampf um die eigene Identität, um das Erkennen der wahren Struktur ihrer ausnahmslos korrupten und manipulierenden Umwelt. Dicks Universum steckt voller Fallgruben und substantieller Bedrohungen - und diesem Universum müssen Dicks Protagonisten, meistens unscheinbare Leute, kleine Angestellte, Vertreter, Verkäufer, gegenübertreten. Von diesem gerade wegen seiner ausufernden Phantasie größtmöglichen realisten unserer Zeit stammt der Ausspruch: „Realität ist das, was, wenn man nicht mehr daran glaubt, nicht weggeht.“ Er hätte auch von Lacan stammen können. Lacan beschreibt das Reale als das, was weder imaginär noch symbolisierbar ist, sondern eine eigene, massive, nichtreduzierbare und singuläre Existenz und Präsenz besitzt – wie etwa ein Traum, unter dem man leidet und der nicht in eine erzählbare Geschichte verwandelbar ist. Das Reale ist wohl verstanden immer etwas Unfaßbares, Unsagbares, nicht Kontrollierbares, eine Art von Horror oder Trauma. Es tritt auch in den Sphären der Sexualität, des Todes und der Gewalt in Erscheinung. Das Reale ist das außerhalb der normalen Realität Liegende und Verdängte, das diese bedroht.
Donnerstag, 30. Dezember 2010