erste Person Singular
Der Mensch war gattungsgeschichtlich in der Lage, ein symbolisches Kommunikationssystem zu entwickeln, und die wechselseitige Abbildung im je anderen konnte zu der Erfahrung führen, ein autonomes, selbstbestimmtes, mit freien Willen ausgestattetes Wesen zu sein. Die Energie psychischer und kognitiver Phänomene, die nur aus der Perspektive der ersten Person faßbar sind und damit einer neuen ontologischen Kategorie zugerechnet werden müssen, verdankt sich einem evolutionären Prozeß. Die Perspektive der ersten Person verführte fortan zu der Illusion, ich könne als Einzelner das Gesamtsystem begreifen. Ich säße als Individuum wie der Fürst in der zentralen Loge des perspektivisch entworfenen Theaters mit dem besten Blick auf das Geschehen. Aber in Wahrheit sind alle Vorgänge Ergebnisse selbstorganisierter Prozesse, an denen wir als Mitspieler aktiv teilnehmen, und denen gegenüber wir die Position des unbeteiligten Beobachters niemals einnehmen können. Wir existieren in interaktiven Konstellationen. Die Erfindung des autonomen Individuums ist eine Fiktion, die einen ganzen Rattenschwanz von Denkfehlern hinter sich herzieht. Die Resultate dieser Denkfehler haben aber aufgrund des wahnhaft für real gegebenen Individuums derartige Evidenz, daß niemand mehr dahinter kommt, daß es sich um einen Wahn handelt.
Donnerstag, 30. Dezember 2010