Kenntnis

 

„Ich kenne den Weg nach Frankfurt“, heißt in der Regel nicht, daß ich beim Abfahren der Strecke viele Einzelheiten erkenne und rekapitulieren könnte. Es heißt eher, daß ich immer die Richtung fahre und an den richtigen Stellen abbiege, ohne die Einzelheiten am Weg wahrzunehmen und ohne sie jemals wahrgenommen zu haben, ohne den Weg kennen zu müssen. Das, was wir am besten wissen, ist das, dessen wir uns am wenigsten bewußt sind. Über dieses Paradox war Mark Twain auf dem Mississippi gestolpert.

Einem verbreiteten Klischee zufolge wäre es besser, wenn das, was unbewußt getan oder unterlassen wird, bewußt gemacht würde. Als ob eine Zunahme bewußter Erkenntnis eine Verbesserung wäre, als ob dies überhaupt praktikabel und möglich wäre. Man bedenke, so Gregory Bateson, die Unmöglichkeit, ein TV-Gerät zu konstruieren, auf dessen Bildschirm alle Vorgänge in den einzelnen Bestandteilen zu sehen wären, wozu insbesondere auch die Teile gehören würden, die an der Wiedergabe beteiligt sind. Solle Bewußtsein überhaupt nützlich sein, dann müsse sparsam damit umgegangen werden. Wenn Sigmund Freud sagte, „wo Es war, soll Ich werden“, könne man stattdessen vorziehen zu sagen: Wo Es war, soll Es bleiben. Könnte man auch der Meinung sein: wo ich ist, soll Es werden? Tun wir nicht vielleicht ständig alles, damit dies eintritt? Ermöglicht uns nicht die Technik, deren Fortschreiten wir feiern, indem sie uns vom individuellen Nachvollzug einer zunehmenden Menge von Verrichtungen im Alltag entlastet, genau dies? Wird nicht der technische Fortschritt gerade darum geschätzt und gefeiert, weil er ebendies befördert? Der technische Fortschritt bedeutet nicht, wie immer behauptet und beklagt wird, eine stetige Zunahme des Wissens, sondern eine ständige Verringerung.

 

Samstag, 1. Januar 2011

 
 
Erstellt auf einem Mac

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