Konsens
Wer meint, daß Akklamation und Verherrlichung als kirchliche, feudale und absolutistische Rituale heute verschwunden seien, verkennt, daß sie im Konsens nach wie vor unvermindert wirksam sind. Der Konsens ist auch heute ein zeremonieller Gewaltzusammenhang. Die Medien spielen in den heutigen Demokratien nicht etwa deshalb eine so wichtige Rolle, weil sie die Bildung der öffentlichen Meinung ermöglichten, sondern weil sie, wie Agamben argwöhnt, die Herrlichkeit verwalten und zuteilen. Diesen Gedanken äußerte bereits Guy Debord in seinem Buch über „Die Gesellschaft des Spektakels“. Das Spektakel in seinem Sprachgebrauch ist die ununterbrochene Rede, die das gegenwärtige System über sich selbst hält, sein selbstlobpreisender Monolog. Die Regierungsgewalt wie der Konsum verhalten sich wie Superstars, die sich durch das passive Zuschauerpublikum akklamieren lassen. Derlei geht auf den Rousseau‘schen Entfremdungsbegriff zurück. Dabei kommen wiederum Carl Schmitt wie Foucault zu ihrem Recht. Rousseau unterschied zwischen der theatralischen Teilung in Akteure und passives Publikum im Zusammenhang mit der Fixierung auf die Probleme anderer statt der unmittelbaren Kommunikation über die eigenen Probleme und die Abhängigkeit der Einzelnen von dem, was die Leute über einen denken mögen. Wer glaubt, Carl Schmitts Auffassung des Gesetzes als eines Willensausdrucks, dem das Moment des gewaltsam durchgesetzten Herrschaftsanspruches innewohnt, gehe an dem Wesen einer demokratischen Öffentlichkeit vorbei, verkennt, daß auch Diskurse herrschen können. Debord analysierte die Gegenwartsgesellschaft als eine Scheinrealität, die den Zugang zur Wirklichkeit versperrt und für die eigentliche Realität gehalten wird. Wer in ihr reale Erfahrungen macht, gute oder schlechte, der findet damit keine Sprache und keine Gemeinschaft. Er kann sie nur dann mit anderen teilen, wenn sie gängigen Klischees entsprechen, und sie können nur zur Sprache kommen in den Entstellungen und Pervertierungen der Scheinrealität des Konsenses. Dies ist besonders relevant bei Erfahrungen des persönlichen Scheiterns, der peinlichen Niederlagen, des Unrechts, der Ohnmacht, mit denen das Individuum sprachlos allein bleibt und deretwegen er in den Augen der anderen zum Anormalen wird und sich den Prozessen wehrlos ausgeliefert sieht, die ihm gemacht werden, weil er zu dem geworden ist, wogegen sich die Gesellschaft verteidigen zu müssen glaubt.
„Das individuell Erlebte des getrennten täglichen Lebens bleibt ohne Sprache, ohne Begriff, ohne kritischen Zugang zu seiner eigenen Vergangenheit, die nirgendwo aufbewahrt ist. Es wird nicht mitgeteilt. Es ist unbegriffen und vergessen zugunsten des falschen spektakulären Gedächtnisses für das Undenkwürdige“. (These 157)
Samstag, 1. Januar 2011