Lombroso

 

Cesare Lombroso schickte sich einst an, das Böse zu entschleiern. An der Hirnschale des Räubers Vilella empfing er seine heroische Offenbarung. Er meinte, wie Foucault spottet, erleuchtet wie eine unermeßliche Ebene unter einem flammenden Himmel, das Problem der Natur des Verbrechers mit eigenen Augen zu schauen. In ihm erkannte er „ein atavistisches Wesen, das in seiner Person die wilden Instinkte der primitiven Menschheit und der niederen Tiere wieder hervorbringt. In einer makabre und triumphalen Geste erklärte er eine bestimmte Schädelform, eine starke Kinnlade, sowie geringen Bartwuchs und einen tiefen Haaransatz zu den maßgeblichen Kriterien seiner Wissenschaft.

Das Böse mußte böse Ursachen im Subjekt haben. Lombroso hat es vorgemacht, worauf es bei der Beweisführung in diesem Prozeß ankommt. Es gilt nämlich zunächst, den Verbrecher aus allen Normalitätsvorstellungen auszugrenzen. Er mußte mit wissenschaftlichen Methoden erst dämonisiert werden, damit man auf den Gedanken verfallen konnte, daß er zu heilen sei. Was den Jägern des Bösen im Subjekt freilich immer schon Schwierigkeiten machte, ist das Oszillieren zwischen der methologischen Vorstellung vom Verbrecher als Erscheinungsform des Bösen und dem seit der französischen Revolution geltenden anthropologischen Motiv, daß der Mensch Herr seiner Handlungen und deshalb auch für sie verantwortlich zu machen sei. Die forensische Kriminologie spricht heute vom Verbrecher nicht mehr als Exemplar physischer Deformation, sondern als seelisch deformiertes Wesen, wobei die anatomischen Defekte Lombrosos zu seelischen Defekten geworden sind. Als jemand, der nicht nur der Böse, sondern auch ein Kranker ist, muß er gleichwohl für seine Handlungen haftbar gemacht werden können. Als Psychopath betrachtet ist es möglich, daß er nicht nur Opfer eines sich an ihm vollziehenden Lebensschicksals sind, sondern auch für dieses Schicksal verantwortlich ist. Der Verbrecher erweist sich als ein Produkt komplexer Konstruktionstechniken, als ein Geschöpf Frankensteins.

(Peter Strasser, Verbrechermenschen. Campus. Ffm/NY 1984)

 

Samstag, 1. Januar 2011

 
 
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