Don Quijote

 

Heinrich Heine wehrte sich gegen die „Schildknappen des gesunden Menschenverstandes“, die das Einerlei ihrer Schulbegriffe hüteten. Schiller spottete: „die kühlen und klugen Philosophen! Wie mitleidig lächeln sie herab auf die Selbstquälereien und Wahnsinnigkeiten eines armen Don Quijote, und in all ihrer Schulweisheit merken sie nicht, daß jene Donquijoterie dennoch das Preisenswerteste des Lebens, ja das Leben selbst ist und daß diese Donquijoterie die ganze Welt mit allem, was darauf philosophiert, musiziert, ackert und gähnt, zu kühnem Schwunge befügelt.“

Wer der ans Kreuz geschlagenen Wahrheit folgt, macht sich zum Narren wie Christus vor der Welt, die ihn nicht erkannte, die ihn verspottete, peinigte und tötete. Die Narren waren die Ungläubigen, die in Fiktionen lebenden, denn sie erklärten die Wahrheit für Torheit. Der Narr in Christus aber ist die Wahrheit, vor der sich die Weisen flüchten, um nicht vor der Wahrheit zum Narren zu werden.

Erasmus von Rotterdams Lob der Torheit steht im Zusammenhang dieser Dialektik. Schiller nahm Don Quijote zum Vorbild für seinen Karl Moor, den ernsten idealischen Schwärmer und edlen Räuber. „Eine Fülle von Kraft, die alle Gesetze übersprudelt, mußten sich an bürgerlichen Verhältnissen zerschlagen, und zu diesem enthusiastischen Träumen von Größe und Wirksamkeit durfte sich nur eine Bitterkeit gegen die unidealische Welt gesellen, so war der seltsame Don Quijote fertig, den wir im Räuber Moor verabscheuen und lieben, bewundern und bedauern. Ich werde es hoffentlich nicht erst anmerken dürfen, daß ich dies Gemälde sowenig nur Räubern vorbehalte, als die Satire des Spaniers nur allein geißelt.“ (Schillers vorrede zu den Räubern). In den Räubern bezieht er sich unmittelbar auf die Episode, als Don Quijote und Sancho Pansa unter die berüchtigte Räuberbande des Roque Guinart gerieten. Dieser gehörte zu den edlen Räubern, zum Verbrecher aus verletzter Ehre. Schiller glaubte, daß die Ignoranz der Menschen, unzulängliche Strukturen der Gesellschaft, ein rohes Polizeiwesen und eine schematisierende Justiz gerade edel veranlagte Charaktere aus der bürgerlichen Welt vertreiben könnten. Das Gesetz, als Schutz der Schwachen gedacht, so meint man jedenfalls, werde in diesen abscheulichen Zeiten, die Don Quijote beklagte, oft genug zum Mittel der Unterdrückung. Unter den Ausgestoßenen und Gesetzlosen erlebt Don Quijote ein Abbild des Goldenen Zeitalters, das er ausgezogen ist zu erneuern, das zu erneuern er sich zur Aufgabe als fahrender Ritter gemacht hatte.

Die Rede, in der Don Quijote zu Beginn seiner zweiten Ausfahrt Hirten vom Goldenen Zeitalter erzählt, soll Karl Marx gelegentlich paraphrasiert haben. Damals gab es noch keinen Privatbesitz, kein Gewinnstreben, Eigennutz und Neid waren unbekannt, es gab kein Geld und kein Kapital, und die Willkür hatte sich noch nicht im Geiste der Richter eingenistet.

Der edle Räuber und der edle Ritter, die mutig ihren Weg in einer den Einzelnen von sich entfremdenden Gesellschaft einschlagen, sind, so will es das Klischee, von den Flammen des Ideals ergriffen. Die Romantik und Schiller haben selbst dazu beigetragen. Das Ideal helfe ihnen, frei von Täuschungen und Zwängen einer niederdrückenden Realität zu bleiben. Aber es sind die Ideale selbst, welche die Welt verderben und verstellen und den Einzelnen von sich entfremden, weil sie als Realität und Gegebenheit suggerieren, was doch nur eine normative Fiktion darstellt. Auch der Kapitalismus und die Justiz können nur deshalb Gewalt ausüben und zur Gewalt gegen die schwachen werden, weil sie die Menschen glauben machen, die Ideale seien bereits verwirklicht. Don Quijote hält den Idealen ihren Betrug vor, indem er sie beim Wort nimmt und sich opfert. Darin ist er Candide verwandt. Hinter ihrer Naivität wird das Rohe der Wirklichkeit selber sichtbar. Freilich nur für den, der sein Hirn nicht vollständig mit Idealen verklebt hat.

 

Sonntag, 2. Januar 2011

 
 
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