Xenitheia
a. Erfahrung von Entwirklichung mit Nähe zu mystischen und psychotischen Erfahrungen. Sich fremd fühlen im eigenen Land, in der eigenen Klasse, innerhalb der Insitutionen, in die man gestellt ist, inmitten der Gesellschaft. Eine solche Anwandlung kann einen befallen, ein solcher Zustand kann einen ergreifen beim Lesen der Tageszeitung oder angesichts von Gewohnheiten, Rücksichten, Formen der Bequemlichkeit, wie man sie tagtäglich im Umgang mit anderen erfährt, immer wenn sich ein Ensemble von Positionen gefestigt hat, verhärtet, auskristallisiert, sich zu einer Masse verdichtet, verklumpt. Ist dieser Zustand einmal angetreten, breitet er sich galoppierend aus und kann das gesamt soziale Umfeld einer Person erobern.
b. Konzept der Askese: „Schweige und sage dir, wohin du auch immer gehst: Ich habe mit dem hier nichts zu schaffen.“ (Abba Pistos)
Mit den Menschen leben ohne Vertraulichkeit. Die eigene Sprache beherrschen und nicht die der anderen. Statt Anpassung an die Gepflogenheiten der anderen, Sorge, die anderen nicht zu beschämen.
Steigerung in der stenochoria: Alles was es darin als Pose geben mag, radikal auslöschen, indem man sich seine Fremdheit nicht anmerken läßt.
Man entfremdet sich der Welt, indem man sich jeder Wertschätzung von Seiten der Menschen entzieht und sogar versucht, Verachtung und Schande auf sich zu ziehen. „Entweder fliehe ernstlich die Menschen oder halte die Welt und die Menschen zum Narren, indem du es dir zur Gewohnheit machst, den Narren zu spielen.“ (Mönch Abba Or, 4. Jh.)
Der Weg in die Enge, eine so tiefe innere Emigration, daß die Welt davon kaum etwas bemerkt. Weisheit, die unerkannt bleibt. Wissen, das sich nicht verbreitet. Leben im Verborgenen. Unkenntnis der anderen über den Weg, den ich verfolge. Abgrund von Schweigen. (Ähnlichkeit der Vorbereitungen des Amokläufers wie des Selbstmordattentäters mit dem schmalen Weg des Tao)
c. Darin bis zur inneren Verbannung gehen, ohne irgendeine Möglichkeit der Kompensation offenzuhalten. Das kann einem aufgenötigt werden durch die eigene psychische Disposition. Das Schicksal des Borderliners ist, krank werden zu müssen, um gesund werden zu können. Kann man Wahnsinn empfehlen? fragt Deleuze.
d. Als Utopie: R. Barthes Phantasma gemäß würde es eine „idiorhythmische“ Gemeinschaft dem Individuum erlauben, gegenüber dem Großen Anderen (Lacan) als dem gemeinsamen Vaterland eine gewisse Xeniteia einzunehmen und dabei jedes Subjekt vor der Angst vor emotionaler Verlassenheit, affektiver Ausbürgerung zu bewahren. Die Gemeinschaft faßt und verleiht den Mut, der Nacht zu trotzen, sich gegen die Trostlosigkeit des Abends zu wappnen. In gewisser Weise findet diese Utopie Abend für Abend, wenn die Nacht hereinbricht, in der Kneipe statt.
Montag, 3. Januar 2011