Nein
Patricia Carli sang „Non“. Amy Winehouse gar „No no no“. Bartleby antwortete „I better won’t“. Sygne Coufontaine wackelte ihr kategorisches Nein mit dem Kopf. Wir erleben Tilmann Allert zufolge heute den Abschied von Nein. Mit einem Nein wäre ein unüberschaubarer Arbeits- und Organisationsaufwand verbunden. Das Nein kündigt die Verständigungsbereitschaft auf und bedeutet Konflikt, riskiert den Fortgang der Kommunikation, den Ausschluß des Angesprochen oder den Selbstausschluß desjenigen, der mit seinem Nein die konsensgetragene Kommunikation unter- oder abgebrochen hat. Der Neinsager steht dann als Querulant dar oder als Unbelehrbarer, Unelastischer. Tilmann Allert empfiehlt, sich auf den Schul-Pausenhöfen umzuhören. Dort erfährt man, daß die Stelle des Nein ein Hallo eingenommen hat. Wird in der Peer-group geprüft, „wie sich das noch labile eigene Urteil im Lichte der Resonanz des Anderen hält, bekräftigt wird oder erlischt, dann geschieht das mit einem fragenden ‚Hallo’.“ Mit diesem ‚hallo’ ruft man zur Ordnung, verzichtet aber auf Explikation, wie sie stattfände in Sätzen wie: Spinnst du? oder: finde ich Scheiße! Statt des Einklagens eines Austauschs über das in Rede stehende Handeln nur ein Ruf. Normverletzung wird registriert, aber der begründungspflichtigen Sanktion entzieht man sich. Ein Pendant finde dieses ‚hallo’ in der Bemerkung ‚keine Ahnung’, die Feststellungen beigefügt wird, als Bitte, für das mutig Behauptete nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Gregory Bateson beobachtete, daß Hunde nicht Nein sagen können. Sie haben kein Zeichen für Nicht. Um zu sagen: ich beiße nicht, muß ein Hund dem anderen die Zähne genauso zeigen, wie um zu sagen: ich beiße. Die Hunde müssen dann herausfinden, daß die Erwähnung des Kampfes in Wirklichkeit nur erkundend war. Sie lassen sich auf einen Streit ein, um entdecken zu können, daß keiner von beiden den anderen töten will. Beide Tiere müssen die Zähne fletschen, um einander nicht beißen zu müssen. Das ist riskant, denn sie könnten einander mißverstehen. Sie könnten in einen Kampf geraten, um herauszufinden, ob Kämpfen das war, was sie tun mußten. Es ist ein Experiment. Man muß bereit sein, die Schlacht auszutragen, um zu beweisen, daß es keine ist. Man muß Unterwerfung ausagieren, um zu beweisen, daß einen der andere nicht fressen wird. Nachdem beide herausgefunden haben, daß der Streit keiner war, können sie Freunde werden. Das erfordert Mut. Jede Tat ist ein Experiment, ob unser Urteil richtig war. (Friedrich Nietzsche). Wenn wir sind uns nicht bewußt sind, diejenigen Mitteilungen zu empfangen, die uns sagen, welche Arten von Mitteilungen wir empfangen, dann liegt das womöglich daran, daß wir solche Mitteilungen nicht mehr empfangen.
Dienstag, 4. Oktober 2011