Drückeberger
Zwischen den beiden Weltkriegen herrschte eine pseudowissenschaftliche Bagatellisierung des Traumas durch den Ersten Weltkrieg, an der die deutsche Psychiatrie nicht unmaßgeblich beteiligt war. Statt die Phänomene in individueller wie kollektiver Hinsicht aufzuarbeiten, führte der Psychiater Bonhoeffer das Konzept der „Rentenneurose“ ein. Kriegstraumatisierte Personen wurden als solche bezeichnet und als Drückeberger behandelt. Mit dem Argument, daß andere Kriegsteilnehmer den Krieg ohne Neurose überstanden hätten, wurde die Ursache in einer Degeneration und einer minderwertigen Erbanlage gesucht. Der Kult des Stärkeren und des „unbesiegbaren Erbguts“ wurde in der Nazi-Ideologie konsequent gestärkt und wahnhaft übersteigert. Mit dem Kult der Stärke und der Verleugnung eigener Schwäche und Verletzlichkeit ging die Verachtung und Ausgrenzung der Schwachen und Minderwertigen einher bis zu ihrer physischen Vernichtung. In einem traumakompensatorischen Unternehmen von gigantischem Ausmaß stürzte sich Deutschland in den Zweiten Weltkrieg, einen Krieg gegen die ganze Welt. In diesem Prozeß hat sich der Versailler Vertrag verhängnisvoll ausgewirkt. Er stärkte die nationalistischen Kräfte und desavouierte die sogenannten Erfüllungspolitiker, die sich bemühten, der Kriegsschuld Deutschlands Rechnung zu tragen und dafür plädierten, aus der Vergangenheit zu lernen. Die Wirtschaftskrise erschwerte die Demobilisierung ehemaliger Soldaten, die sich traumasüchtig bei paramilitärischen Verbänden betätigten, im Sinne einer Reinszenierung traumatischer Erfahrungen auf kollektiver Ebene. Guttenberg schwankt als aalglatter und persönlichkeitsloser Opportunist zwischen Drückerberger-Rhetorik und Weichei-Correctness, wozu er sich gerade gedrängt sieht.
Dienstag, 15. Februar 2011