HartzIV

 

HartzIV ist nicht nur ein staatlicher Verwaltungsakt und eine soziale Dienstleistung, nicht nur ein Transfer, sondern auch ein institutioneller Traumatisierungszusammenhang vergleichbar einem Gefängnisaufenthalt oder einer Einweisung in eine geschlossene Anstalt, eine freiheitsentziehende Institution mit therapeutischem und pädagogischem Anspruch, eine Anstalt eben. Der Einzelne, der durch den Verlust des Arbeitsplatzes, mit dem in der Regel noch andere Verluste einhergehen, eine Aberkennung erfährt, ein „Wir können dich nicht mehr gebrauchen, du hast keine Anerkennung mehr verdient“, ein Trauma erleidet, wird nicht etwa von der Gemeinschaft aufgefangen, sondern im Gegenteil isoliert und stigmatisiert und in einem neuen Kollektiv eingeordnet und untergeordnet, ohne daß noch differenziert wird, ob er seinen Job kurz vor dem Rentenalter verloren hat oder nach dem Verlassen der Schule noch gar nie gearbeitet hat. In einem integrativen und zugleich ausschließenden Prozeß, der dem Betroffenen gemacht wird, wird er in entfremdende Lebensbedingungen mit stereotypen Beziehungen hineingestoßen. Es handelt sich um einen Prozeß, der auch als eine Art  Psychotherapiekonferenz beschreibbar wäre. An dem neuen isolierten Ort, an den er verfrachtet wird in die Verdammung der antiken Polis, wuchern pathogene Systeme. Da gibt es das Phänomen der „kleinen Königreiche“ (Oury 1991), der obszönen Macht des Ubu (Alfred Jarry), die  Tendenz, sich selbst zu uniformieren, Entwertungsmechanismen, die dynamische Trias von Narzißmus, Paranoia und Destruktivität. Und man sieht sich mit dem Phänomen konfrontiert, daß Psychologen dazu neigen, Psychodynamik und Institutionsdynamik zu verwechseln. So kommt es, daß das Aufbegehren des zwangsuntergebrachten Patienten sein eigentliches Begehren verdeckt und daß der sich verselbständigende, rousseauistische Abwehrkampf des Individuums gegen die Institution, der das eigentliche Begehren zu ersetzen droht, in seiner Verrechtlichung nicht mehr als Artefakt identifiziert wird. Die sonst verdienstvolle Arbeit der Psychoanalyse versagt, weil sie Übertragungsphänomene nur im Rahmen des Settings thematisiert und zu thematisieren erlaubt. Ihr Dogmatismus sorgt dafür, daß man blind dafür bleibt, daß auch eine strafende Institution, geschlossene Einrichtung oder das Involviertsein in einen Gerichtsprozeß oder das zum HartzIV-Empfänger-Werden gebändtigte dyadische Strukturen und „primitive Objektbeziehungen“ generiert. Strafende Institutionen brechen die Triangulierung traumatisch auf und zwingen das Individuum in masochistische Dyaden hinein. Die Psychoanalyse ist ein Setting, das eine Regression auf eine dyadische Struktur fördert und verlangt, wobei das Ziel eine Aufhebung dieser Regresion in einer neu errungenen triadischen Struktur sein soll. Bei dem außeranalytischen erzwungenen Regredieren ist die Einbettung in einen Retriangulierungsprozeß nicht gegeben. Zwar ist innerhalb des Settings der Sollzustand nie Ist-Zustand, existiert er nur in zeitlicher Perspektive unter dem dynamischem Gesichtspunkt von interaktiven Entwicklungsprozessen, doch fällt diese Perspektive in den Zwangs-Interaktionen außerhalb weg. Nun muß man sich klarmachen, daß Psychologie als Wissenschaft sich nicht jener psychoanalytischen Perspektivierung verdankt, sondern der Erfindung erzieherischen psychiatrischen Anstalten, „dieser Welt der strafenden Moral“ (Foucault). „Der Mensch ist eine psychologisierbare Gattung erst geworden, seit sein Verhältnius zum Wahnsinn eine Psychologie ermöglicht hat, d.h. seit sein Verhältnis zum Wahnsinn äußerlich durch Ausschluß und Bestrafung und innerlich durch Einordnung in die Moral und durch Schuld definiert ist.“ (1968, S. 113). Deleuze und Guattari mit ihrer Theorie der Anti-Psychiatrie gehen dem nach, wie sich der Mensch dagegen wehrt, auf eigene Kosten.

 

Mittwoch, 16. Februar 2011

 
 
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