Potlatch
Kwakiutl hat sich als Name für eine Gruppe von Indianerstämmen im Norden von Vancouver Island eingebürgert. Bis 1849 lebten die Kwakiutl in Kalugwis. Sie informierten im Jahr 1835 Mitarbeiter der Hudson Bay Company (HBC) über Kohlevorkommen bei Suquash, 14 km südöstlich vom später errichteten Fort Rupert. 1836 steuerte das Schiff Beaver die Region an, um die Region zu inspizieren. Die Kwagu’l wollten die Kohle selbst abbauen. Einige Jahre lang versorgten die Kwagu'l die Gesellschaft mit Kohle. Doch der Bedarf an diesem Rohstoff nahm durch die steigende Bevölkerung und vor allem durch die motorisierte Seefahrt schnell zu, so dass die US-amerikanische Firma Howland & Aspinall mit der HBC in Verhandlungen um Kohlelieferungen von Vancouver Island trat. Die Gesellschaft, die schon längst den Weg von einer Pelzhandelsgesellschaft zu einer umfassenden Produktions- und Handelsgesellschaft eingeschlagen hatte, war bereit zu investieren. 1849 errichtete die HBC zum Schutz einer Kohlemine Fort Rupert. Verträge, die mit dem Gouverneur James Douglas abgeschlossen wurden. Die Indianer erhielten acht Reservate um Beaver Harbour und an den Mündungen des Keogh River und des Cluxewe River sowie ein größeres Waldgebiet auf Malcolm Island zugesprochen. Doch wurden der HBC zugleich Schürfrechte zugesprochen. Im Dezember 1865 erschien die HMS Clio vor einem Dorf der Kwakiutl und ließ es völlig zusammenschießen. Die Kwakiutl mußten zudem den Verlust von 70 Kanus hinnehmen.
1881 richtete Kanada die Kwawkewlth Indian Agency ein. Im selben Jahr kamen die ersten Anthropologen zu den Kwakiutl und ihren Nachbarn. 1886 kam Franz Boas zu den Kwakiutl. Sie richteten ihr Augenmerk vornehmlich auf ihre sonderbaren Riten, die sie in ihrer Sprache Potlatch nannten. Die unsinnig erscheinende "Verschwendung" des zeremoniellen Schenkens hatte die Gemüter der weißen Siedler erregt. Sie betrachteten sie als ökonomischen Irrwitz. Auch die Missionare sahen durch die "heidnischen Bräuche" das Arbeitsethos, die Moral und die Christianisierungsbemühungen bedroht. Der
Potlatch wurde zum vordringlichen Ziel der politischen Bemühungen um Assimilation. Die Politik Kanadas richtete sich zunehmend allerdings gegen sämtliche kulturellen Äußerungen der Ureinwohner. So wurde nicht nur die Ausübung des Potlatch untersagt, sondern alle Kinder mussten in die Residential Schools gehen, die für die Kwakiutl die St. Michael's Residential School in Alert Bay war. Dort wurde bei schweren Strafen darauf gedrungen, daß die Kinder ihre Sprache nicht benutzten sondern Englisch sprachen. So sollte nicht nur ihre kulturelle Bindung zerstört werden, sondern sie sollten in der Masse der Kanadier aufgehen. Mit dem Fischereigesetz von 1888 schränkte die Regierung die Fischereirechte der Indianer drastisch ein.
Die Indianer gründeten Geheimgesellschaften, die für die heimliche Ausrichtung des Potlatch zuständig waren. Der größte bekannte Potlatch fand im Jahr 1921 statt: Das Fest dauerte mehrere Tage, zwischen 300 und 400 Leute nahmen teil. Am ersten Tag werden Reden geschwungen, in denen der Rivale auf ritualisierte Form beschämt und verhöhnt wird ("Ich bin der grosse Häuptling, der die Leute beschämt"). An den folgenden Tagen teilt er aus: Teppiche, Kanus, Schmuck, Gaslichter, Violinen, Nähmaschinen, Möbel, Geld, 1000 Säcke Mehl, einen Stapel Sachen für seine eigenen Leute als "return for favors": Kleider und Schmuck für Frauen, Sweaters und Hemden für junge Leute. Bei diesem letzten und größten Potlatch im Winter 1921 schritt die kanadische Polizei ein und verhaftete 45 Gäste, 26 von ihnen saßen monatelang im Gefängnis. Sie wurden schuldig befunden des “Tanzens, Redens und Schenkens”.
Nach der Aufhebung des Verbots des Potlatch (1951) feierte man in Victoria wieder ein erstes öffentliches Potlatch. Doch war es nur noch ein Schatten einstigem Glanzes. Die die Holzindustrie hatte keine Bäume übriggelassen, die für Totempfähle alt und hoch genug gewesen wären. Auf Wazilus (Deer Island) gab es 1986 erstmals Blockaden der Kwakiutl gegen die Holzgesellschaft MacMillan Bloedel. Der Widerstand wuchs.
Die Geschichte des Potlatch ist die seiner interessierten Verkennung. Der Missiona William Duncan notierte 1875, daß der potlatch das bei weitem rätselhafteste Phänomen sei, daß ihm bei Indianern begegnet sei auf ihrem Weg zum Christentum. “by far the most formidable of all obstacles in the way of Indians becoming Christians, or even civilized.” 1885 wurde der Indian Act dahingehend geändert, daß er fortan das Verbot der Ausübung von Potlatch-Riten enthielt: “Every Indian or other person who engages in or assists in celebrating the Indian festival known as the "Potlatch" or the Indian dance known as the "Tamanawas" is guilty of a misdemeanour, and shall be liable to imprisonment for a term not more than six nor less than two months in a jail or other place of confinement; and, any Indian or other person who encourages, either directly or indirectly an Indian or Indians to get up such a festival or dance, or to celebrate the same, or who shall assist in the celebration of same is guilty of a like offence, and shall be liable to the same punishment.” Die Reaktion des amtierenden Indianer-Häuptlings ist ebenfalls dokumentiert: “We want to know whether you have come to stop our dances and feasts, as the missionaries and agents who live among our neighbors try to do. We do not want to have anyone here who will interfere with our customs. We were told that a man-of-war would come if we should continue to do as our grandfathers and great-grandfathers have done. But we do not mind such words. Is this the white man’s land? We are told it is the Queen’s land, but no! It is mine.”
Boas, Contributions to the Ethnology of the Kwakiutl, und auch Ruth Benedict haben den Potlatch ins Zentrum ihrer Analysen gestellt. Sie sahen darin eine Umkehrung des Warentausches, bei dem es nicht darauf ankam, Reichtum zu horten sondern wegzugeben, und ein unvernünftiges Geschenkritual. Erst mit Philip Drucker und Robert F. Heizer (1967) fand eine Umdeutung im Sinne einer sozial vernünftigen Institution statt. Der Titel ihrer Arbeit "To make my Name good" ließe sich übersetzen mit: Meinem Namen gerecht werden. Eine Nachprüfung des südlichen Kwakiutl Potlatch. Berkeley: Universität von Kalifornien. Marcel Mauss lieferte dann mit seinem Buch „Die Gabe” die verbindliche Interpretation ein komplexes Statussystem.
Das Unverständnis der Missionare und frühen Ethnologen angesichts des Potlatch
ist vergleichbar mit dem Unverständnis den heiligen Tieren in manchen Kulturen gegenüber. Sie meinten, diese Gesellschaften würden nicht rationell wirtschaften, da sie die Tiere nicht essen, obwohl die großen Viehherden Schäden in der Landschaft verursachten. Diese Gesellschaften schuften, um Güter zu produzieren und einen Austausch von Gütern am Leben zu halten, die sie gar nicht brauchen. Es wäre freilich sinnvoll, den Begriff des Cattle- oder Pig-Complexes zu vergleichen mit dem "money complex" unserer modernen Gesellschaften. Man kann nicht ernsthaft behaupten, wir würden schuften, nur um Waren zu produzieren, die wir wirklich brauchen.
Wir bekommen eingeredet, daß es schwer zu begreifen sei, wie sogenannte primitive Völker ihr Eigentum sinnlos vernichten konnten und sich und ihren Stamm ruinierten, aber ist es denn weniger unbegreiflich, wie man in der modernen Zivilisation darauf kommen konnte, daß hemmungsloser Eigennutz dem Gemeinwohl diene. Nicht der Kwakiutl-Häuptling ist das Rätsel, sondern Adam Smith, Mandeville und ihre Nachbeter. Wir haben versäumt, das fassungslose Staunen und Erschrecken eines Thorstein Veblen zu teilen angesichts der von ihm identifizierten Riten der “conspicuos consumtion”. Das eigentlich Unfaßbare ist, daß Menschen dazu fähig sind, Geld aus dem Kreislauf rauszuziehen, es der Gemeinschaft zu stehlen und dann privat zu horten, um damit anzugeben und die anderen zu brüskieren, Schamlosigkeit zu demonstrieren und dafür auch noch gerühmt und zu werden und für vorbildlich zu gelten. Man braucht dazu nicht die Fabergé-Eier der Zaren zu bemühen.
Sonntag, 20. Februar 2011