Schubumkehr
Ein gewisser J.D. Lindy behauptet in Anlehnung an die von Mardi Horowitz entwickelte Traumatheorie einen psychopathogenetischen Mechanismus der Funktionsumkehr. „Es handelt sich, wie Fischer und Riedesser referieren, „um die Funktionsumkehr eines Beziehungsschemas, das die Fähigkeit verliert, zwischen nützlichen und schädlichen Beziehungsangeboten zu unterscheiden und gleichzeitig noch die Grenzziehung zwischen Selbst und Außenwelt aufrechtzuerhalten. Schädliche Einflüsse werden gezielt aufgegriffen und dem Selbst zugeschlagen, nützliche „Nährstoffe“ dagegen an die Umwelt abgegeben. Wie die Traumamembran ist dieses Schema durch die Umkehr seiner normalen Funktion gekennzeichnet“. In Anlehnung an einen terminologischen Vorschlag von Bion läßt sich diese Variante der Traumaschemata als „bizzarres Schema“ bezeichnen. Bion spricht von einem „bizarren Objekt“, das gezielt aus sogenannten „Beta-Elementen“ zusammengesetzt sei, während die „Alpha-Funktion“ ausfällt oder gar in eine Art „Beta-Funktion“ verkehrt wird. Bizarre Schemata arbeiten im Sinne einer falschen Synthesis. An die Stelle der Synthese von Subjekt und Objekt tritt als Folge der traumatischen Erfahrung zum einen die schroffe Antithese von Subjekt- und Objektpol, im Falle des „bizarren Schemas“ zusätzlich noch an der „Traumamembran“ sich vollziehende Funktionsumkehr.
Gottfried Fischer und Peter Riedesser, die Verfasser des Handbuchs zur Traumaforschung, die in einem Kapitel auf dieses Phänomen aufmerksam machen wollen, verweisen zur Illustration des fraglichen pathogenetischen Mechanismus auf den klinischen Befund des Victimisierungssyndroms, bei dem das Opfer die Weltsicht des Täters übernimmt, sich selbst abwertet und sich verurteilt, während es den Täter idealisiert und sich mit ihm identifiziert. Die Jesus-Legende und die Pinocchio-Erzählung wären als mythologisch-literarische Belege für die behauptete Schubumkehr zu prüfen.
Mittwoch, 9. Februar 2011