Restrisiko

 

Mit Robert Junck kann man angesichts der Ereignisse in Japan sagen: Die Zukunft hat schon begonnen. Nach Tschernobyl hörte man gebetsmühlenartig: Dergleichen kann bei uns nicht passieren. Merkel sagt bis heute: „Die deutschen Atomkraftwerke sind sicher“.  Aufgrund welcher Informationen läßt sich das sagen?  Hat sie nicht für möglich gehalten hat, nicht genug Informationen zu haben, um das mit Sicherheit sagen zu können, oder hat sie nicht daran gedacht, daß jemand nachfragen könnte? Daß sie behauptet hat, etwas zu wissen, das sie gar nicht wissen konnte, daran hat sich bis heute nichts geändert.

Unsere Anlagen sind sogar noch schlechter ausgelegt als die in Japan. Bei einem internationalen Vergleichstest hat das deutsche Referenz-Kraftwerk schlecht abgeschnitten. Bei deutschen Kernkraftwerken gibt es zahllose Fälle von Beinahe-GAUs. In Biblis sind wir mehrfach knapp an einem Super-Gau vorbeigeschrammt. Dort hat man jahrelang nicht bemerkt, daß die Sicherheitsvorkehrungen für Notfälle gar nicht aktiviert waren. Es gab vor nicht so langer Zeit einen Trafobrand in Krümmel, eine eigentlich unproblematische Angelegenheit. So was kann schon mal passieren. Der Wind drehte aber so, daß der Rauch in die Schaltwarte drang. Deren  Luftreiningungssysteme treten dann in kraft, wenn in der Warte ein Feuer ausbricht. Die Systeme sind angesprungen und haben den Rauch in die Schaltwarte hereingesogen. daraufhin hat man Gasmasken ausgeteilt und in wilder Hektik versucht, den Reaktor runterzufahren. Dabei sind Fehler passiert, die den Reaktor in eine sehr gefährliche Lage gebracht haben. Die Sache ist nur mit viel Glück glimpflich abgegangen.

Die sieben deutschen Atomkraftwerke, die nun abgeschaltet werden sollen, waren schon 1983 nicht mehr genehmigungsfähig und sind dennoch bis heute weiter betrieben worden. Keines der in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke erfülle die in Deutschland existierenden Sicherheitsanforderungen, sagt der Rechtswissenschaftler Alexander Roßnagel. in einem Atomkraftwerk hohe Radioaktivität austritt und die Mannschaft dann gar nicht in der Leitwarte verbleiben kann - also man braucht für alle Atomkraftwerke eigentlich externe Notstandswarten, die weiter weg gelagert sind und wo man dann auch aus der Ferne das Atomkraftwerk steuern kann -, und man bräuchte eigentlich Vorrichtungen, die erlauben, dann auch bei Kernschmelzen noch Sicherheit zu gewährleisten.

In den rechtlichen Anforderungen für Sicherheitsstandards sind wir schon viel weiter, als die Atomkraftwerke, die in Deutschland gegenwärtig betrieben werden, einhalten können. Und dennoch ist die Genehmigung aller dieser Atomkraftwerke um acht bzw. 14 Jahre verlängert worden. 
In Japan zeigt sich, daß die Fachleute völlig hilflos sind. Bis heute gibt es keine definitive Auskunft darüber, was in den Reaktoren geschieht, weil sie es selber nicht wissen.

Unterdessen ist von der Atomlobby das Klagerecht der Bürger für mehr Reaktorsicherheit verringert worden.

Peter Hauck, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion BaWü: „Nach Japan kann nichts so bleiben in der Denke“. „Wie jeder haben wir ein Restrisiko gesehen, das aber aller Wahrscheinlichkeit nach vernachlässigt werden kann“.

Das Restrisiko soll keines sein, aber es ist das entscheidende. Man wolle die Sicherheit alles AKWs erneut prüfen. Dabei dürfe es „keine Tabus“ geben. Es gab sie offenbar bisher. Wenn es jetzt heißt, die Suche nach einem Endlager und die Überprüfung von Gorleben solle „ergebnisoffen“ erfolgen, dann muß man befürchten, daß sie es bisher nicht waren. Und wenn sie es trotz aller Beteuerungen bisher nicht waren, steht auch zu befürchten, daß sie es auch jetzt nicht sind und auch in Zukunft nicht sein werden.

Die beschlossene Reduktion des CO2-Anteils in der Atmosphäre würde den Einsatz von mindestens 60 bis 80 neuen Meilern allein in Deutschland nötig machen. Sollte man die Kernkraft allgemein als Lösung für unsere Energiesituation der Zukunft begreifen, dann bedeutet dies, daß weltweit mindestens 4000 zusätzliche Kernkraftwerke gebaut werden müßten.

China hat zur Zeit hat China 13 Atomreaktoren mit einer Kapazität von 10,8 Gigawatt in Betrieb. Bis 2015 soll mit dem Bau von weiteren mit zusätzlichen 40 Gigawatt Kapazität begonnen werden. Bis 2020 soll die gegenwärtige Atomkapazität verachtfacht werden. Auch die Türkei hat unter dem Eindruck der Katastrophe in Japan bekräftigt, weiterhin neue Kernkraftwerke bauen zu wollen. Erdogan: „Wenn man alle Risiken vermeiden will, dürfte man in der Küche keine Gasflaschen mehr verwenden.“

Windkraft gilt als unzuverlässig. So heißt es in Spanien, sie produzierten sie zu viel Strom. Wegen des durch die Finanzkrise gesunkenen Strombedarfs müssen die Anlagen Zwangspausen einlegen. Im Schnitt liefern spanische Windräder 15 Prozent des Stroms. “Der Nachfrageeinbruch macht es notwendig, die Windparks vom Netz abzutrennen, die sowieso schon zu viel Elektrizität für das System produzieren”, schreibt die Zeitung Expansión. Dass ausgerechnet der quasi kostenlose Energielieferant Wind daran glauben muss, ist technisch begründet: Das Abschalten von Windparks ist deutlich einfacher als das Herunterfahren eines Kohlekraft- oder Atomkraftwerks. Solange Kernkraftwerke Bestandteil des Energie-Mix sind, ist die flexible Einspeisung von Windenergie technisch gar nicht möglich.

Die Regierung dürfte der Atomlobby keine Garantie für die Auslastung der Kernkraftwerke mehr geben. Diese müßten nachrangig eingeordnet werden. Vorrangig müßte sein, daß für Wind- und Solarenergie der Einspeisevorgang ungedeckelt ist, so daß Atomanlagen nur dann eine Chance haben, wenn sie da einfügen.

Stattdessen gefährdet Merkel Für die Profitinteressen weniger Konzerne „die beispiellose Ausbaudynamik der erneuerbaren Energien und damit zehntausende Arbeitsplätze«, befürchtet Christoph Bautz von Campact. »Fällt der Atomausstieg, werden die Atomkonzerne den Ausbau der Erneuerbaren Energien blockieren wo sie nur können. Schließlich bleiben sie um so häufiger auf ihrem profitablen Atomstrom sitzen, je stärker die erneuerbaren Kapazitäten wachsen.«

»Atomkraftwerke passen nicht in einen modernen Energiemix«, sagt auch Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe. »Sie können die schwankende Stromerzeugung aus Sonne und Wind nicht bedarfsgerecht ergänzen, da sie in ihrer Leistung unflexibel sind. Damit Erneuerbare Energien grundlastfähig werden, braucht es Investitionen in den Aus- und Umbau der Stromnetze, Entwicklung von Speicherkapazitäten und Kraftwerke, die ihre Leistung flexibel an Stromerzeugung und -bedarf anpassen«, so Rosenkranz. (Mythos Atomkraft Über die Risiken und Aussichten der Atomenergie. Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung. 1. Auflage, Berlin, Februar 2006 © Heinrich-Böll-Stiftung Alle Rechte vorbehalten Gestaltung: SupportAgentur, Berlin)

Atomreaktoren sind stets gegen die Gefahren ausgelegt, die für möglich gehalten wurden. Daß es Ereignisse gibt, die man, bevor sie eingetreten sind, nicht vorhergesehen hat, das weiß man immer erst, wenn sie eingetreten sind. Wenn es diese bösen Überraschungen nicht gäbe, käme ein GAU nicht zustande, dann gäbe es überhaupt keine technischen Katastrophen. Dann wäre auch die Titanic nicht untergegangen. Das Problem, mit dem wir es zu tun haben, ist also nicht mit dem Hinweis wegzuwischen, daß man hierzulande keine derart starken Erdbeben in Verbindung mit einem Tsunami befürchten muß, sondern man muß erkennen,

daß immer wieder Ereignisse eintreten, die wir uns vorher nicht vorstellen konnten.


Bild: AP Photo/NTV Japan via APTN

Donnerstag, 17. März 2011

 
 
Erstellt auf einem Mac

Weiter >

< Zurück