der Diskurs des Ubu
Wir erleben dieser Tage in den arabischen Staaten wie bei uns ein Phänomen, das Alfred Jarry in Ubu verkörpert sah. „Ubuesker Terror, groteske Souveränität oder die Maximierung von Machteffekten auf der Basis der Disqualifizierung dessen, der sie produziert: Dies wäre nicht als Unfall der Geschichte der Macht oder als Fehler des Apparats zu verstehen. Es scheint mir eines der Räderwerke zu sein, die innerer Bestandteil der Machtmechanismen sind. Die politische Macht zumindest bestimmter Gesellschaften wie der unsrigen kann es sich erlauben, ihre Machteffekte zu übertragen und darüber hinaus den Ursprung dieser Effekte in Winkeln aufzustöbern, die explizit und aus sich heraus durch Hassenswertes, Gemeines und Lächerliches disqualifiziert sind.“ (Michel Foucault, Die Anormalen, S. 28) Wir haben hierfür leuchtende Beispiele in der römischen Geschichte. Sueton, der die Opposition von tugendhaften und lasterhaften Herrschern in Szene setzt, sah es repräsentiert in den paranoiden Figuren Nero, Caligula, Vetellius und Heliogabal („De vita caesarum“). Die Groteske gehört zu den entscheidenden Verfahren der willkürlichen Herrschaft. Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß die Groteske der Bürokratie inhärent ist. „Daß die Verwaltungsmaschine mit ihren unumgänglichen Machteffekten durch die Hände eines mittelmäßigen, untauglichen, dummen, schuppigen, lächerlichen, abgearbeiteten und ohnmächtigen Beamten läuft, das gehört zu den wesentlichen Zügen der großen westlichen Bürokratien seit dem 19. Jahrhunderts.“ (28) Das verwaltungsmäßig Groteske beschränkt sich nicht auf die visionäre Wahrnehmung der Verwaltung bei Balzac, Dostojewski oder Kafka, es läßt sich auch von anderen mechanischen Machtformen sagen wie dem Faschismus und dem Stalinismus. Das Groteske von Mussolini war Teil der Mechanik der Macht. Die Macht verlieh sich selbst dieses Bild, von jemandem auszugehen, der theatralisch gekleidet war und wie ein Clown, wie ein Hanswurst aussah. (29) Von infamer Souveränität bis hin zur lächerlichen Autorität gibt es alle Grade dessen, was man „unwürdige Macht“ nennen könnte. Sie reicht von Gaddafi bis Guttenberg.
Nun sehen wir in den letzten Tagen, wie unwürdige Macht entthront wird, wie sie aber zugleich unbelehrbar ist. Analysen des Ethnologen Clastres hat jenes Phänomen erkundet, gemäß welchem derjenige, dem man Macht verleiht, in gewissen Riten und Zeremonien gleichzeitig lächerlich gemacht oder abstoßend und in ungünstigem Licht gezeigt wird. (La société contre l’etat. Recherches d’anthropologie politique. Paris 1947) Dabei ist unklar, ob es in solchen Ritualen um Begrenzung von Machteffekten geht, also darum, durch Magie denjenigen zu entthronen, dem man die Krone verleiht. Foucault zufolge gibt es solche Riten auch bei uns. Sie haben heute aber wohl eine andere Funktion: „Mir scheint es ... darum zu gehen, eindeutig die Unumgänglichkeit und Unvermeidbarkeit der Macht vorzuführen, die auch dann noch in aller Strenge und in einer äußerst zugespitzten gewaltsamen Rationalität funktioniert, selbst wenn sie in den Händen von jemandem liegt, der tatsächlich disqualifiziert wird.“ (30) Shakespeares Serie der Königsdramen werfe dieses Problem auf.
„Von Nero (der vielleicht ersten großen Figur infamer Souveränität) bis zu dem kleinen Mann mit den zitternden Händen, der in der Tiefe seines Bunkers, von 40 Millionen Toten gekrönt, nurmehr zweierlei verlangte: daß der gesamte Rest über ihm mitzerstört werde und man ihm ums Verrecken Schokoladenkuchen bringen möge...“ (30) (Vgl. J. Fest, Hitler, II. der Führer 1933-45 Ffm/Berlin/Wien, 1973).
Die unwürdige Macht ist freilich nicht auf spektakuläre Fälle beschränkt. „Der Westen, der – sicherlich seit der griechischen Gesellschaft und der Stadt – fortgesetzt davon träumt, in einer gerechten Stadt dem Wahrheitsdiskurs Macht zu verleihen, hat zugleich in seinem Justizapparat der als solcher anerkannten Parodie des wissenschaftlichen Diskurses unumschränkte Macht eingeräumt.“ (31) Foucault spricht auch von Machteffekten, die in einem zugleich statuthaften und disqualifizierten Diskurs erzeugt werden. „Was geschieht in diesem Diskurs von Ubu, der im Herzen unserer Rechtsprechungspraxis und unserer Strafpraxis sitzt? Eine Theorie des psychiatrisch-strafrechtlichen Ubu mithin.“ (31)
Freitag, 4. März 2011