Der Senator

 

In den „Buddenbrooks“ ist die interessanteste und sonderbarste Figur der Senator. Während man an allen anderen etwas zu bemängeln fand, sie als unreif, korrupt, dumm, naiv, dekadent belächelt, blieb die Figur des Senators als vermeintlicher Ruhepol und Mitte der Erzählung und der Familie unbeachtet. Er ist gewissermaßen der blinde Fleck der Geschichte. Dabei verkuppelt er seine Tochter gegen deren Willen einem hochverschuldeten Hochstapler, der sich auf dieser Weise saniert, aber die Familie des Senators in den Abgrund reißt. Dabei hatte er Erkundigungen über diesen Mann eingeholt. Daß sein ältester Sohn als sein Nachfolger sich verspekuliert, macht die Niederlage des Senators nur komplett. Der ehrwürdige alte Herr ist auf durchsichtige Intrigen und Manipulationen hereingefallen, die jener Unwürdige inszenierte, in einem nur närrisch zu nennenden Übervertrauen in die Sauberkeit althergebrachter Verfahren und damit in die Ritterlichkeit der Angehörigen seines Standes. Er ist dem Ideal aufgesessen, ohne die Fähigkeit zur Realitätsprüfung, derer er sich doch als Kaufmann rühmen dürfen sollte. Er hat sich als Don Quijote erwiesen. Sonderbarerweise wird er dafür aber von niemandem getadelt, weder von seiner Familie, noch vom Autor, noch vom Lesepublikum, noch von der Literaturwissenschaft. Während sich Cervantes von den Instanzen des Publikums genötigt sah, seinen Helden am Ende abschwören und bereuen zu lassen, läßt Thomas Mann seinen Narren kommentarlos als Helden stehen, ohne dessen Sockel auch nur anzukratzen und ohne befürchten zu müssen, daß ein anderer dies tun könnte.

 

Dienstag, 19. Juli 2011

 
 
Erstellt auf einem Mac

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