Blick nach oben

 

Seit David Camerons Brandrede am 14. 8. hat das Wort „soziale Probleme“ eine neue Bedeutung, die Bedeutung, die es bei den Volksvertretern vielleicht immer schon hatte. Wenn wir glaubten, damit seien die Probleme gemeint, die Arbeitslose und Arme, Zurückgesetzte, Ausgeschlossene haben, die aus den sozialen Verhältnissen resultieren und die Gesellschaft insgesamt belasten und fordern, dann erkennen wir nun, daß die sogenannten Eliten damit den Umstand meinen und vielleicht immer gemeint haben, daß jene Problemfälle ihre Lage kundtun,  daß sich die Betroffenen melden und die Gemeinschaft ihrer Chancenlosigkeit wegen anklagen. Soziale Probleme zu lösen heißt jetzt, die Möglichkeit zu beseitigen, sich kollektiv bemerkbar zu machen. Die Bürger erwarteten das. Es gelte, den moralischen Zerfall aufzuhalten. Cameron verspricht, die Lage in den Schulen und den überflüssigen Sozialhilfesystemen zu überprüfen. In den Schulen sieht er Agenturen zur Verbreitung einer Kultur der Faulheit, Sozialleistungen dienten nur dazu, diese Kultur zu unterstützen. Seine Rede versteht er als Weckruf für das Land. Wenn dies das intellektuelle Niveau der politischen Führungseliten ist, bedarf es in der Tat eines Weckrufes, nämlich um vor solchen Brandstiftern auf dem Niveau von Kretins zu warnen. Wie in der Vorwahlkampfzeit in den USA muß man staunend beobachten, daß die Mehrheit der Bevölkerung sich auf die Seite der wenigen Reichen und Privilegierten stellen, statt sich selbst als Abgehängte zu erkennen oder als die nächsten, die abgehängt werden. Zwischen denen, die immer mehr Reichtum konzentrieren, und der immer größer werdenden Zahl derer, die verarmen, sieht sich der Mittelstand zerrieben. Statt aber die eigene Lage zu analysieren, flüchten man sich in die Ideologie einer Mittelklasse und der politischen Mitte, mit der man gegen sich selbst stimmt. Siegfried Kracauer hat diesen selbstmörderischen Reflex in den frühen 30er Jahren unter dem Titel „Die Angestellten“ als „Blick nach oben“ bezeichnet.

 

Dienstag, 16. August 2011

 
 
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