Pinocchio als Jesus als Hamlet als Ödipus
Verbotene Gedanken hat Hamlet, der Sohn des Königs, den sein Bruder umgebracht hat, um über seine Mutter an die Krone ranzukommen, der die unrechtmäßige, usurpierte Herrschaft überlebt, indem er den Narren spielt und verrückte aber wahrheitsgemäße Dinge sagt.
Collodi sichert sich doppelt ab, indem er nicht nur Hamlet als Puppe tarnt, sondern auch seine Erzählung als Kinderbuch und sich so selbst als Autor tarnt. Der Pinocchio beginnt mit den Worten: Es war einmal ein König, nein es war kein König, sondern ein Stück Holz. Hamlet ist selbst schon eine Tarnung, denn er versteckt die Tatsache, daß dieser Mythos älter ist als der von Ödipus, hinter dem Schein, daß Ödipus die ältere Geschichte und der Hamlet nur eine Verschiebung dieses Ursprungsmythos sei. Im Fall von Ödipus haben wir es mit einem tatsächlichen Inzest zu tun, während bei Hamlet der Inzestwunsch verdrängt und verschoben ist. Hamlets Ekel vor Frauen ist Ausdruck seiner Abneigung gegenüber Sex in seiner beklemmenden inzestuösen Form. Das asexuelle Verhältnis zu Frauen ist verkörpert in Ophelia. Im Pinocchio entspricht die blaue Fee dieser Frauengestalt. Hamlets Charakterisierung als Zwangsneurotiker und als introvertierten, grüblerischen, zaudernden Intellektuellen zeichnet ihn als neuzeitliches Phänomen. Bei der zeitlichen Inversion haben wir es Zizek zufolge mit dem Mechanismus der unbewußten Verschiebung zu tun. „Etwas, das in logischer Hinsicht früher stattfindet, wird erst als eine spätere sekundäre Entstellung einer angeblich ursprünglicheren Geschichte wahrnehmbar.“ Wie in der Traumarbeit wird der latente Gedanke chiffriert oder verschoben, doch genau durch diese Verschiebung artikuliert sich der andere, wirklich unbewußte Gedanke. Erst durch Hamlets Entstellung des Ödipus artikuliert sich sein verdrängter Gehalt. Vielleicht – Freud legt dies nahe - bringt auch die Ermordung Gottes im Neuen Testament das geleugnete Trauma des Alten Testaments ans Licht. Pinochio hätte sterben sollen wie Jesus. Immer wird ein verbotenes Wissen verschleiert. Worin besteht aber dieses verbotene Wissen? Im Wissen um die Obszönität des Vaters? Gepetto ist Jehova ist Gott Vater, ein dirty old man, der es am väterlichen Inzestverbot fehlen läßt . Es geht in allen Fällen nicht um den Konflikt zwischen dem ethisch Richtigen und dem Pathologischen oder Asozialen, sondern um die Spaltung zwischen den moralischen Normen und dem bedingungslosen Gebot, dem zu gehorchen jemand als heilige Pflicht empfindet, obwohl man weiß, daß dies ins Verderben führt, was Psychotherapeuten als Ich-Schwäche hinstellen, um selbst in asozialer und pathologischer Weise davon zu profitieren.
(vgl. Zizek, Die gnadenlose Liebe)
Donnerstag, 29. September 2011