die Religion der Idioten
Das schlimmste aller Übel unserer Zeit ist der Irrglaube, man könne alles richtig machen: die richtige Ausbildung wählen, den richtigen Beruf, die richtige Geldanlage, die richtige Frau, die richtige Wohngegend. Das Träumen der Vernunft ist es, was die Monster gebiert. Der größte Traum der Vernunft ist eben der, Goyas Concetto so zu verstehen, daß die Vernunft nicht schlafen soll, um keine Monster entstehen zu lassen. Goya soll also die nicht-träumende, nicht schlafende Vernunft gemeint haben, die, die wach bleibt, die schlaflos ist, sie soll die Lösung aller Probleme sein. Der Schlafende träumt von der Schlaflosigkeit in Gestalt der Eule? Gegen dieses Opium ist das Christentum allenfalls Baldrian. Es hat nie eine mächtigere und nie eine verheerendere Religion gegeben als die der Vernunft, als das , was man unter Vernunft und unter Aufklärung versteht. Für diesen Wahn steht Habermas. Keiner verkörpert ihn so wie er. Habermas: in seinem Glauben, die Wirtschaft sei für den Menschen da, und nur die Institutionen müßten verbessert werden - der Wahn der intersubjektiven Vernunft. Habermas verkörpert wie kein anderer den modernen Menschen in seinem ganzen schwachsinnigen Selbstbewußtsein. Der „stumme Zwang der Verhältnisse“, von dem Marx noch sprach, oder die „kleinen Mißverständnisse ohne Bedeutung“ bei Tabucchi oder die “Gebrechen der menschlichen Verhältnisse” (Kleist) fallen durch sein anthropologisches Raster, wie all das durch die diversen Raster fällt, was die Gründe dafür sein könnten, daß man, obwohl man alles richtig hätte machen können, dann doch vieles nicht richtig gemacht hat. Der globale Kapitalismus ließe sich durch eine Weltinnenpolitik auffangen, für die Europa das Modell sein müßte. Was aber bewahrt die Banken davor, noch an der kapitalistischen Krisen-Logik scheitern zu dürfen? Ist es wirklich bloß ihre schiere Größe? Und wäre alles gut, wenn sie kleiner wären. Lassen sich kleine Banken überhaupt denken? Arbeitslos seien nur diejenigen, die schlecht ausgebildet sind. Von Altersarmut sei nur betroffen, wer nicht neben der staatlichen Rente auch privat vorgesorgt hat. Der moderne Mensch ist der Idiot par excellence, in dem die Idiotie aller Zeiten und in allen ihren Gestalten endlich hegelianisch zu sich selbst gekommen ist, indem er glaubt, alles richtig machen zu können. Die Idealwelt verstellt den Blick auf die Wirklichkeit, weil man dem Wahn erliegt, die Idealwelt sei eine verwirklichte, sei die wirkliche. Mit diesem Wahn, sie sei wirklicher als die Wirklichkeit, geht einher, daß man diese gleichzeitig wahrzunehmen verlernt hat. Genau das war auch bereits die Kritik der Aufklärer selbst, die darum Aufklärer heißen. Voltaires Candide thematisiert ebendiese Verwechslung des Ideals mit der Empirie, die Pervertierung der Aufklärungsidee zu dem Wahn, in der besten aller möglichen Welten zu leben. Die Aufklärung ist sich selbst das eigentliche Problem. die Aufklärer wußten das noch. Sie haben ihre Weisheit mit ins Grab genommen. Lévi-Strauss stellte für die Bororo-Indianer, die Ureinwohner Brasiliens, fest, daß ihre Dörfer eine zweifache Ordnung haben. Das Dorflayout bildet sowohl die tatsächliche Gesellschaftsstruktur auf dem Boden ab, wie auch die Idealvorstellung der Bewohner von ihr. Dasselbe gilt auch für uns zivilisierte Menschen, mit dem Unterschied, daß wir von der tatsächlichen Struktur kein Bewußtsein mehr haben, sie nicht mehr erkennen können und sie auch nicht mehr abbilden, nicht einmal mehr unbewußt, da mittlerweile auch unser Unbewußtes nach dem Vorbild des Vernunftwahns gebildet ist. An der Hilflosigkeit der Schulexegeten mit Kleists Michael Kohlhaas sieht man, woran die neue Weltreligion krankt. Mit aller Gewalt muß er moralisiert werden und am Ende Einsicht zeigen, daß seine Taten in keinem Verhältnis zu dem Unrecht stehen, das ihm geschah. Sein Vernunftglaube muß als Anachronismus hingestellt werden. Man war eben noch nicht so weit. Mit Michael Kohlhaas geht etwas unter, was im Mittelalter noch denkbar war. Der mittelalterliche Sachsenspiegel drückte nicht nur das Recht, sondern gar die Pflicht des einzelnen aus, die ungesetzlichen Handlungen der Obrigkeit zurückzuweisen. Die Empirie gab es damals noch. Und mit ihr die Möglichkeit der Aufklärung. Das ist seit Aufklärung und Empirismus vorbei.
Mittwoch, 28. März 2012